Steigende Telefonkosten in Peking und Brüssel
Der Strategische Dialog zwischen der Europäischen Union und China am Mittwoch kann nicht über wachsende Differenzen hinwegtäuschen
Um zu verstehen, wie sehr sich die politische Lage Chinas verändert hat, muss man sich nur die Liste der Auslandstelefonate von Präsident Xi Jinping seit Jahresbeginn anschauen. Das letzte von zwei Telefonaten mit US-Präsident Donald Trump datiert vom 7. Februar. Xi versicherte Trump damals, dass sein Land rechtzeitig gehandelt habe, um das Virus einzudämmen. Dazu riet er den USA, die Situation in Ruhe zu evaluieren.
Mit Bundeskanzlerin Angela Merkel hingegen telefonierte Xi vergangene Woche bereits zum vierten Mal, es folgte das fünfte Telefongespräch mit französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Seit der US-geführten Invasion im Irak 2003 hat Peking nicht mehr so intensiv auf die EU geblickt wie dieser Tage. Denn wie die Volksrepublik steht auch die EU unter Druck von Trump, der am Samstag vor Hummerfarmern mit neuen Zöllen sowohl auf chinesische als auch auf Produkte aus der EU drohte.
Doch es sind nicht nur die angespannten Beziehungen mit den USA, die an diesem Mittwoch beim Strategischen Dialog von EU und China auf der Tagesordnung stehen. Wenn an diesem Tag EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen per Videoanruf mit dem chinesischen Premierminister Li Keqiang spricht und der Hohe Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik Josep Borell mit dem chinesischen Außenminister Wang Yi, werden auch Unstimmigkeiten zwischen Brüssel und Peking auf der Themenliste stehen. Und von denen gibt es einige: So stocken die Gespräche über ein bilaterales Investitionsabkommen; die EU kritisiert China für dessen Umgang mit der chinesischen Sonderverwaltungszone Hongkong; China kritisiert Hindernisse für den Staatskonzern Huawei beim Ausbau des 5G-Netzes in der EU. Doch es gibt auch Gemeinsamkeiten zwischen China und der EU: Anders als die USA haben beide ein Interesse an der Aufrechterhaltung der Prinzipien der gegenwärtigen internationalen Ordnung.
Bei ihrem Telefonat vergangene Woche sprachen Merkel und Xi über eine engere Zusammenarbeit bei der Bekämpfung des Klimawandels und über ihre Bereitschaft, die Welthandelsorganisation weiter zu stützen. Sie bestätigten auch die pandemiebedingte Verschiebung des für den 27. September in Leipzig geplanten EU-China-Gipfels, bei dem Xi mit den den 27. EU-Staats- und Regierungschefs zusammenkommen sollte.
Auch wenn es nicht in den offiziellen Protokollen des Telefonate Xis mit Macron steht, soll der französische Präsident laut Journalisten der Nachrichtenagentur Reuters gesagt haben, dass Frankreich die Situation in Hongkong genau beobachte. Anders als die USA hat die EU keine Sanktionen wegen des geplanten umstrittenen chinesischen Sicherheitsgesetzes für Hongkong und der damit befürchteten Aushöhlung von »Ein Land, zwei Systeme« in der ehemaligen britischen Kolonie angekündigt.
Der Strategische Dialog und der Gipfel im September hätten die Höhepunkte des »EU-China-Jahres« werden sollen. Doch die Pandemie und die sich verschärfende Konfrontation zwischen den USA und China haben in der EU Spuren hinterlassen: Die Stimmung gegenüber China verschlechtert sich, nicht zuletzt weil die Volksrepublik anders als versprochen die Öffnung ihres Marktes verzögert. In der Coronakrise werden in der EU vermehrt Stimmen laut, die fordern, dass die Staatenverbund nicht seine wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit verlieren dürfe. Einzelne EU-Staaten wie Deutschland überlegen, wie sie verhindern können, dass durch die Viruskrise in Schwierigkeiten steckende Unternehmen durch chinesische Staatsunternehmen aufgekauft werden. Auch wächst die Kritik an China, dass es die EU-Mitgliedsländer gegeneinander ausspiele und dass die EU in Aussicht auf Geschäfte mit China Werte aufgebe. Was ein herausragendes Jahr im Verhältnis der EU mit China werden sollte, droht in einer sich rapide wandelnden Welt zu einem konfliktreichen zu werden.
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