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Denkpause im Bürgerkrieg
In Libyen verhandeln alle Kriegsparteien sowie die EU im Akkord - bislang erfolglos
Nach dem Rückzug seiner »Libysch-Arabischen Armee« (LNA) aus Tripolis wachsen auch im eigenen Lager die Zweifel an der Strategie von Khalifa Haftar. Der Feldmarschall hatte Anfang der Woche auch einen Rückzugsbefehl aus Muammar Gaddafis Heimatstadt Sirte gegeben. Doch Bewohner und die 604. Brigade hielten die vorrückende Milizenallianz der Einheitsregierung in Tripolis auf eigene Faust auf. Schließlich griffen auch russische Mig-29-Jets in die Kämpfe ein.
Für die zuletzt erfolgreichen Angreifer aus Tripolis kam der Widerstand überraschend, sie wurden rund 50 Kilometer zurückbefohlen. Die UN-Mission für Libyen (UNSMIL) nutzte die Pattsituation um das strategisch wichtige Sirte für Waffenstillstandsverhandlungen. Per Videoschaltung habe man mit den Kriegsparteien in Bengasi und Tripolis »produktive Gespräche geführt«, so eine Erklärung der nach Tunis evakuierten UNSMIL-Mission.
In Bengasi traf am Mittwoch der deutsche Botschafter für Libyen ein. Mit General Haftar erörterte Oliver Owcza die Wiederaufnahme der »5 plus 5 Gespräche«, eine auf der Berliner Libyen-Konferenz beschlossene Gesprächsplattform von Offizieren beider Kriegsparteien. Auf dem Tisch liegt auch die sogenannte Kairo-Initiative des ägyptischen Präsidenten Abdel Fatah el-Sisi, der die Kämpfe für beendet erklärt hatte, ohne allerdings mit Premier Fayez as-Sarradsch Kontakt aufzunehmen. Die vermeintlichen Sieger wollen sich auf den ägyptischen Vorschlag ebenso wenig einlassen wie auf die Idee eines innerlibyschen Dialogs von Parlamentschef Aguila Saleh. Der bei den ostlibyschen Stämmen beliebte 76-Jährige ist zu einem Konkurrenten Hafters geworden, seit er einen Dialog mit Vertretern der anderen beiden libyschen Provinzen vorschlug.
Hafter quittierte Salehs Vorstoß mit dem Versuch, das Parlament zu entmachten. Auch wenn der Putschversuch Ende April an dem Druck der Öffentlichkeit scheiterte, steht es schlecht um Salehs Plan. Ihm fehlt das Geld, eine Friedenskonferenz zu organisieren. Das 2014 demokratisch gewählte Parlament hat derzeit nicht einmal die Mittel, um die wegen der Coronakrise in alle Landesteile verstreuten 200 Abgeordneten zusammenzutrommeln.
Ob die von Botschafter Owcza am Donnerstag auch in Tripolis vorgeschlagene Fortführung des im Januar gestarteten Berliner Prozesses realistisch ist, hängt von dem Willen der EU ab, den Bruch des Waffenembargos und eines Waffenstillstandes zu sanktionieren. Am Dienstag gab es für die maritime IRINI-Überwachungsmission allerdings einen neuen Rückschlag. Die Besatzung einer griechischen Marinepatrouille hatte das unter der Flagge Tansanias fahrende Frachtschiff Cirkin als möglichen Brecher des seit 2011 geltenden Waffenembargos identifiziert. Laut dem Nachrichtensender CNN Griechenland forderte der italienische Kommandeur der IRINI-Mission seine griechischen Nato-Kollegen auf, den Frachter zu inspizieren. Die Cirkin würde unter dem Schutz der »türkischen Demokratie« fahren, funkte plötzlich der Kapitän einer türkischen Fregatte, die der Cirkin folgte. Die Griechen brachen die Untersuchung ab und folgten dem insgesamt aus drei Schiffen bestehenden türkischen Marine-Verband von den Dardanellen bis in internationale Gewässer in Richtung Libyen. Eine Sprecherin der IRINI-Mission sagte der Presseagentur dpa, sie könne den Vorfall weder bestätigen noch dementieren.
Jede Woche pendeln Dutzende Containerschiffe zwischen Westlibyen und türkischen Häfen. Waffen wurden von den IRINI-Soldaten, darunter auch deutsche, dort bisher keine gefunden. Die türkische Marine ist mit ihrer Unterstützungsmission für die libysche Einheitsregierung da schon erfolgreicher. Mehrere Fregatten kreuzen derzeit in libyschen Hoheitsgewässern. Nach Augenzeugenberichten griffen sie mehrmals auf Seiten der Truppen von Premierminister as-Sarradsch in die Kämpfe ein. Diesen Bruch des seit 2011 geltenden Waffenembargos rechtfertigen as-Sarradsch und der türkische Präsident Tayyip Erdogan mit einem Beistandsabkommen, das sie im November vergangenen Jahres geschlossen hatten.
Die türkische Intervention gegen Feldmarschall Haftar und dessen Verbündete Ägypten, Russland und die Arabischen Emirate brachte die Wende im Krieg. Die seit seinem Abzug in Westlibyen tonangebenden Milizen haben am Dienstag demonstriert, dass sie die Interessen der Türkei gegebenenfalls auch mit Waffen verteidigen. Für ein paar Stunden besetzte eine Gruppe aus der Stadt Zauwia die Gas- und Ölumschlagstation »Green Stream«, über die Süditalien mit Energie versorgt wird. Zwar war die von dem italienischen ENI-Konzern betriebene Pipeline am Abend wieder frei, doch die Aktion war ohnehin nur eine Warnung. Am Tag zuvor hatte die italienische Regierung in Athen den Vertrag über eine erweiterte griechisch-italienische Wirtschaftszone im östlichen Mittelmeer unterzeichnet - gegen den Willen Ankaras.
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