Schwer erträglicher Start

Neonazi-Anwälte stellen das Verfahren im Mordfall Walter Lübcke in Frage

  • Johanna Treblin und Sebastian Bähr, Frankfurt am Main
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Neonazis Stephan Ernst und Markus H. sind laut polizeilicher Ermittlungen und antifaschistischer Recherchen eng befreundet. In der Gerichtsverhandlung um den Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke treten sie am Dienstag jedoch nicht als Kameraden auf: Ernsts Anwälte fordern, die Verteidiger von H. vom Verfahren auszuschließen. Die wiederum beklagen, dass das Gericht und die Medien H. schon vorverurteilt hätten. »H. wird bereits jetzt die Rolle des terroristischen Bösewichts zugeschrieben«, sagte einer von H.s Verteidigern, der rechte Szeneanwalt Björn Clemens. Der erste Verhandlungstag ist von den Anträgen und Einlassungen ihrer Anwälte geprägt. Nicht alle sind darüber erfreut.

Es ist ein bedeutender Prozess, der am Dienstagmorgen vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main begonnen hat. Der CDU-Politiker Walter Lübcke war am 1. Juni 2019 auf der Terrasse seines Wohnhauses aus nächster Nähe erschossen worden. Ernst ist als sein mutmaßlicher Mörder angeklagt. Ihm wird zudem vorgeworfen, im Jahr 2016 den irakischen Geflüchteten Ahmad I. mit einem Messer angegriffen zu haben. Hier lautet die Anklage auf versuchten Mord und schwere Körperverletzung. H. soll im Fall Lübcke Beihilfe zum Mord geleistet haben.

Das Medieninteresse ist groß. Die ersten Journalisten haben sich am Abend vor dem Prozess einen Platz in der Warteschlange gesichert. Eine Kollegin veröffentlicht ein Foto, wie sie gegen Mitternacht vor dem Gerichtsgebäude in einem Campingstuhl sitzt. Rund 50 Journalisten nehmen schließlich am Verfahren teil, Platz ist zudem für 18 weitere Zuschauer.

Ernst und H. werden gegen zehn Uhr in Handschellen in den Gerichtssaal geführt. Sie tragen einfachen Mundschutz, der derzeit im Oberlandesgericht verpflichtend ist. Diese Pflicht ist Gegenstand eines Antrages, den Mustafa Kaplan, einer der Anwälte von Ernst, vorbringt: Er beantragt nicht nur, den Richter wegen Befangenheit abzusetzen, sondern auch das Verfahren komplett auszusetzen, unter anderem, weil es nicht zumutbar sei, den ganzen Tag einen Mundschutz zu tragen.

Die Anklage macht deutlich, dass sie die Anträge für unbegründet hält. »Wir sehen nicht, was das Gericht hätte mehr machen können«, erklärt Bundesstaatsanwalt Dieter Killmer. Man traue dem Gericht zu, sich von der öffentlichen Meinung frei zu machen und nicht auf der Basis von Vorurteilen zu richten.

Die Nebenklage weist das Ansinnen der Verteidiger ebenfalls scharf zurück. »Alle Anträge der Verteidigung sind unbegründet, und das wissen die Verteidiger auch«, sagte Holger Matt, der Anwalt der Familie Lübcke. Hier werde in rechtsstaatlichen Prinzipien gefischt. »Es ist schwer erträglich, den Vormittag als Beginn der Verhandlung zu erleben«, sagte Matt. »Die allgemeinen Umstände sind nicht optimal für alle Beteiligten, aber es gibt keinen Zweifel, dass die Verhandlung unter rechtsstaatlichen Bedingungen stattfindet.« Über die Anträge soll bald entschieden werden.

Richter Thomas Sagebiehl versucht, die Angeklagten zu einer Aussage zu bewegen. »Hören Sie nicht auf ihre Verteidiger, sondern hören Sie auf mich«, sagt er zu Ernst und H. »Nutzen Sie Ihre beste und vielleicht auch einzige Chance, durch ein Geständnis Vorteile zu bekommen.« Am ersten Tag verzichten die beiden Angeklagten darauf, sich zu äußern. »Es bedeutet nicht, dass Ernst gar keine Aussagen treffen wird«, erklärt sein Verteidiger Kaplan. Ob und wann Ernst aussagen wird, ist unklar.

Begleitend zum Verfahren kommt es am Dienstag zu antirassistischen Protesten in Frankfurt am Main. Antifaschisten zeigen in Gerichtsnähe Schilder mit der Aufschrift »NSU Akten veröffentlichen« und »Hannibal, Nordkreuz und Co.: Rechte Netzwerke zerschlagen«. Unterstützt werden die Kundgebungen von der Frankfurter Ortsgruppe der linksradikalen Organisation »Interventionistische Linke«. »Es genügt nicht, die beiden angeklagten Rechtsterroristen zu verurteilen«, sagte die Sprecherin Judith Auer gegenüber »nd«. Es gelte nun, ihre Verbindungen in die Sicherheitsbehörden aufzudecken sowie die Strukturen zu bekämpfen, die den Nährboden für den Naziterror schaffen. »Wenn wir rechte und rassistische Gewalt beenden wollen, müssen wir die Nazi-Netzwerke zerschlagen und die deutschen Behörden gründlich entnazifizieren.«

Der nächste Prozesstag findet am Donnerstag statt. Insgesamt ist das Verfahren mit 32 Prozesstagen bis Ende Oktober angesetzt.

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