Angst vor wippenden Brüsten

Die Doku »Das Wunder von Taipeh« erzählt vom Durchhaltewillen einiger Fußballpionierinnen

Beim Fußball kann die Welt von einer Sekunde auf die andere komplett aus den Angeln fliegen. Fehlpass, Elfer, irgendwas, Tor. Geil. Beim Fußball sind alle eins, Kameraden, Freunde fürs Leben. Egal, wo du herkommst, was du machst, ein Verein, eine Liebe. Geil. Aber wehe, eine Frau will mitmachen. Nicht so geil. Erst recht, wenn sie auch noch selber spielt. Das ist wie Pferderennen, nur mit Eseln. Immerhin waschen die Frauen die Trikots hinterher selber. Solche Gehässigkeiten stammen nicht aus den 50ern, als Frauenfußball vom DFB verboten wurde; diese Blödigkeiten sind aktuelle Beispiele, wie es um die Akzeptanz von Frauenfußball bestellt ist.

Nun könnte der Eindruck entstehen, in Sachen Gleichberechtigung hat sich im Fußball nichts getan, immer noch herrscht der Geist des DFB-Bundestages von 1955, auf dem es zur Verbotsbegründung hieß, »dass diese Kampfsportart der Natur des Weibes im Wesentlichen fremd ist« - »Körper und Seele erleiden unweigerlich Schaden und das Zurschaustellen des Körpers verletzt Schicklichkeit und Anstand.« Dabei sprach daraus doch nur die Angst vor wippenden Brüsten auf dem Platz und verschimmeltem Abwasch zu Hause. Inzwischen hat sich viel getan, das DFB-Nationalteam der Frauen ist heute zweimaliger Welt- und achtfacher Europameister. Das Team hat eigene Physiotherapeuten, muss die Trikots nicht selbst waschen, und einige wenige können sogar vom Fußball leben.

Unter welch widrigen Umständen in den 50ern trotz des Verbots Fußball gespielt wurde (es gab illegale Thekenmannschaften), und zwar von Frauen, und wie hart der Weg bis ins Heute war, davon erzählt der Dokumentarfilm »Das Wunder von Taipeh«. Er begleitet das Frauenteam der SSG 09 Bergisch Gladbach bei ihrer außergewöhnlichen Reise zur (inoffiziellen) Frauenfußball-WM 1981 nach Taiwan. Warum ein Verein aus dem Bergischen Deutschland bei einer WM vertritt, ist so klar wie peinlich. Beim DFB gab es schlichtweg keine Frauennationalmannschaft, obwohl das Fußballverbot zu der Zeit schon seit elf Jahren nicht mehr existierte. Also schickte man den FC Bayern des damaligen Frauenfußballs, die SSG 09, viermaliger Deutscher Meister und aktueller DFB-Pokalsieger. Die Reise durften die Frauen selbst bezahlen, hatten weder Geld für Arzt noch Ausrüstung, denn der DFB gab wirklich keinen Pfennig dazu. Um die Reise zu finanzieren, verkauften die Spielerinnen Waffeln in Fußgängerzonen, gaben Autogrammstunden in Einkaufszentren, warben um lokale Sponsoren, bis schließlich ein Zitronenteefabrikant die Reise bezuschusste.

Was schnell klar wird: Der Gegner der Frauen steht nicht auf dem Platz, sondern sitzt mit Zigarre, Halbglatze und Hornbrille auf dicken Hintern in der Funktionärsetage des DFB. Dabei ist das umso bitterer, je mehr die Frauen der SSG davon erzählen, was für sie die Seele des Fußballs ausmacht. So wahrhaftig hat man heutige Profifußballer noch nie reden hören. Aber so spricht man eben, wenn man sich über alle Verbote hinwegsetzt für das, was einem Spaß macht, wenn offenkundiges Desinteresse nur noch mehr anspornt, auch wenn man auf völlig zerlatschten Plätzen der Männer spielen muss, Schimmel in der verwahrlosten Dusche die Wände hochwächst und man die Fußballschuhe des großen Bruders mit Zeitungspapier ausstopft, weil Mädchen keine eigenen haben dürfen. Alles so geplant, damit die Weiber endlich den Quatsch sein lassen und wieder zurück in die Küche kommen. Aber stattdessen werden sie Weltmeisterinnen.

Eine der wenigen Männerfiguren, die in der Dokumentation gut wegkommen, ist Theo Zwanziger, ehemaliger DFB-Präsident und großer Fan des Frauenfußballs. Er sagt viel Kluges; unter anderem ist er einer der wenigen, der sich zum Thema Homosexualität äußert und einen bemerkenswerten Satz sagt: »Ich bin unter dem Paragrafen 175 Strafgesetzbuch aufgewachsen. Diese Generation hat gelernt: Das ist strafbar. Und das kriegst du nicht raus.« Der Paragraf habe, so Zwanziger, ganz sicher dazu beigetragen, dass Frauenfußball, der immer mit dem Klischee des »Lesbensports« zu kämpfen hatte - auch heute noch - so vehement abgelehnt wurde.

Der Film holt eine Zeit zurück, die noch nicht lange hinter uns liegt. Manches klingt unvorstellbar altbacken, dabei ist es immer noch die Realität vieler Frauenteams, vor allem in den unteren Ligen. Da werden Trainingszeiten erst an die Herren, dann an alle männlichen Jugendteams bis zur F-Jugend verteilt, bis den Frauen dann noch dienstags um 22.30 Uhr der Ascheplatz bleibt. Das Frauennationalteam der USA kämpfte vor Gericht vergeblich um eine gleiche Bezahlung. Und eher friert die Hölle zu, als dass der DFB in absehbarer Zukunft eine Präsidentin bekommt.

Umso wichtiger ist diese Doku, die ein Ereignis in den Mittelpunkt rückt, das weder in der Geschichte des DFB eine Rolle spielt noch sonst wie im kollektiven Fußballgedächtnis verankert ist. Wichtig ebenso, weil der Film einen Typus Frau zu Protagonistinnen macht, die auch heute noch überall anecken: laut, frech, witzig, ehrgeizig - Frauen, die zu keiner Sekunde den Eindruck machen, als würden sie sich von irgendwem etwas sagen lassen oder Hilfe brauchen.

Regisseur John David Seidler füllt mit »Das Wunder von Taipeh« eine eklatante Fußballwissenslücke, was nicht nur feministische »11 Freunde«-Abonnent*innen interessieren sollte, sondern alle, die sich niemals an Halbzeitshows, Konfettikanonen und alkoholfreies Bier im Stadion gewöhnen wollen.

»Das Wunder von Taipeh«, Regie: John David Seidler. Deutschland 2019, 85 Min, Protagonistinnen: Anne Trabant-Haarbach, Brigitte Klinz, Bettina Krug. Erscheint am 19. Juni auf DVD.

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