Überwachung statt Überstunden
Kieler Landtag diskutiert über Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie
Die Fraktionen im schleswig-holsteinischen Landtag lieferten sich am Mittwoch eine knapp zweistündige Redeschlacht zu den aktuellen Missständen in großen Betrieben der Fleischindustrie. Im Parteienstreit ging es dabei vor allem darum, wer für sich in Anspruch nehmen kann, am schnellsten, wirkungsvollsten und glaubhaftesten gegen Gesetzesverstöße oder das Ausnutzen bestehender Gesetzeslücken vorzugehen.
Die SPD im Norden unterstützt die Initiative ihres Genossen, dem Bundesarbeitsminister Hubertus Heil, der die Anwendung von Werkverträgen in großen Schlachthöfen vom 1. Januar 2021 an verbieten möchte. Die Sozialdemokraten betonen aber auch, es reiche bei dem Thema nicht aus, nur nach einem Handeln auf Bundesebene zu rufen.
SPD-Landtagsfraktionschef Ralf Stegner mahnte die Kieler Landesregierung, auch selbst aktiv zu werden. Unterstützung erhält er vom Deutschen Gewerkschaftsbund. Der DGB erinnerte begleitend zur Landtagsdebatte daran, dass der föderal umzusetzende Arbeitsschutz im nördlichsten Bundesland Nachholbedarf hat, was auch daran liegt, dass Schleswig-Holstein nach Bremen und dem Saarland personell in diesem Bereich am schlechtesten aufgestellt sei.
Über ein beispielsweise vom Südschleswigschen Wählerverband (SSW) vorgeschlagenes Wohnraumschutzgesetz oder einer von der SPD geforderten Änderung des Bauordnungsrechts könne zudem verhindert werden, dass osteuropäische Beschäftigte vorbei am Arbeitsstättenrecht unter Verschleierung von Arbeitsverträgen in Subunternehmerverantwortung in menschenunwürdige Unterkünfte verfrachtet werden.
Politiker der Koalition aus CDU, FDP und Grünen in Kiel meinten, dass sie sich der Thematik bereits seit längerem angenommen hätten. So hatte Sozialminister Heiner Garg (FDP) im November 2019 bei der Arbeits- und Sozialministerkonferenz in Rostock bei seinen Ressortkollegen über alle Parteigrenzen hinweg erreicht, dass vom Bundesarbeitsministerium die Einrichtung einer Bund-Länder-Gruppe zu der Problematik gefordert wurde. Darauf wird aber heute noch gewartet.
Garg unterstrich, dass er das Parteiengezänk und die gegenseitigen Schuldzuweisungen nicht nachvollziehen könne. Er begrüßte das im Vormonat ausgearbeitete Eckpunktepapier aus dem Heil-Ministerium grundsätzlich. Allerdings sehe er noch »Nachbesserungs- und Präzisierungsbedarf«, um den Missständen in der Fleischindustrie ein Ende zu setzen. »Es gibt hinsichtlich der Arbeits- und Wohnbedingungen von Beschäftigten in der Fleischwirtschaft kein Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungsdefizit«, sagte Garg.
Stegner beklagte ein systematisches Unterlaufen von Mindestlöhnen. Er sprach von »Knebelverträgen«, die mit Beschäftigten abgeschlossen werden, die oft der deutschen Sprache nicht mächtig sind. Es gehe nicht um einzelne Unternehmer, sondern um »Herden von schwarzen Schafen«.
Garg entgegnete, er sei gewillt, das Ausnutzen von Gesetzeslücken »einiger weniger Arbeitgeber« als Geschäftsmodell zu beenden. Der FDP-Politiker will, »dass die Beschäftigten von Werksvertragsunternehmen unter den gleichen Bedingungen arbeiten wie die Stammbelegschaft«. Konkret schlug er vor, die Arbeitszeit in Schlachthöfen digital per Fingerabdruck des Beschäftigten zu erfassen, um möglichen Manipulationen bei der Anrechnung von Überstunden zu begegnen.
CDU und FDP ließen in ihren Redebeiträgen im Plenum aber durchblicken, dass sie grundsätzlich die arbeitsrechtliche Form des Werkvertrags nicht in Frage stellen und deshalb der Initiative von Heil nicht viel abgewinnen können.
Während Anträge der SPD abgelehnt wurden, beschloss der Landtag einen Antrag der Koalitionsfraktionen von CDU, Grünen und FDP, in dem es unter anderem schwammig heißt, dass Bund und Länder konsequent Regelungslücken beim Arbeitsschutz schließen müssten.
Mit dem Nachweis des Ausbruchs einer Covid-19-Infektion bei Mitarbeitern eines Tönnies-Schlachthofes im Kreis Gütersloh hatte die Debatte neben vergangenen Corona-Vorfällen in Schleswig-Holstein einen aktuellen Bezug in Nordrhein-Westfalen. 400 der ersten 500 Tests fielen positiv aus. Später wurden 600 Infizierte gemeldet. Der Schlachtbetrieb in Rheda-Wiedenbrück wurde gestoppt. Am Vortag hatten die Behörden von 128 positiven Fällen gesprochen. Der Krisenstab des Kreises Gütersloh tagt seit Mittwochmorgen. Schulen und Kitas sollen geschlossen werden.
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