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Zocken und völlig abdriften
Die Gamingszene ist aggressiv zu Frauen und bietet rechte Radikalisierung
Die leidige Debatte flammt alle paar Jahre wieder auf: ob nicht sogenannte »Killerspiele«, also Ego-Shooter, für Terroranschläge oder Amokläufe zu verantworten wären. Auch nach dem antisemitischen Attentat auf die Synagoge in Halle im Oktober 2019 fragte Deutschlands Innenminister Horst Seehofer (CSU), ob man nicht mal die Community der Videospiel Spielenden unter die Lupe nehmen sollte. Und ebenso regelmäßig geht ein Protestschrei durch die Gaming-Community, man würde zu Unrecht dämonisiert und in die rechte Ecke gestellt. Es sei nicht jeder, der abends zu einer Runde des Ballerspiels »Call of Duty« vom Büroalltag abschaltet, ein Nazi.
Aber die Gaming-Szene hat nun mal ein großes Problem mit gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Auf der Videospielplattform »Steam« gibt es Neonazi-Gruppen. Zahlreiche User haben ein Foto des Rechtsterroristen Anders Breivik als Profilbild, Frauen in der Community sehen sich immer wieder Angriffen ausgesetzt, homophobe Beleidigungen oder das N-Wort sind in Chats alltäglich. Populäre Gaming-YouTuber wie PewDiePie kokettieren immer wieder mit Rassismus, Sexismus und Antisemitismus.
Um sich kritisch zur »Killerspieldebatte« zu artikulieren und um gegen rechte Inhalte in der Gaming-Community vorzugehen, hat sich im April 2020 die Initiative »Keinen Pixel den Faschisten« gegründet. Es ist ein Zusammenschluss von antifaschistischen Spieler*innen, die sich seit Jahren kennen. Zu ihnen zählen auch die Spieleforscher*innen Pascal Wagner und Aurelia Brandenburg, mit denen ich im Videochat gesprochen habe.
»Der Anschlag von Halle und die Reaktionen, sowohl von Horst Seehofer, als auch aus der Gaming-Community, waren der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat«, erzählt Pascal Wagner. »Hinzu kommt, dass sich viele Gamer jetzt als Opfer eines falsch geführten Diskurses betrachten«, ergänzt Aurelia Brandenburg. »Anschläge wie Halle alleine auf Spiele zu schieben ist falsch, aber nun wird eine Opferidentität aufgebaut, anstatt sich damit zu befassen, was falsch läuft.« Manche betrachten sich als »Kellerkinder«, die von der Jugend an Opfer von Mobbing und Diskriminierung gewesen seien, und nun erneut attackiert würden. Dies führe zu Beißreflexen gegenüber jeder Form von Kritik, selbst wenn sie aus den eigenen Reihen kommt, sagt die Spieleforscherin.
Aurelia Brandenburg, die seit langem Videospiele spielt, berichtet trocken lachend, dass sie regelmäßig auf Twitter oder in ihrem Blog gefragt werde, ob sie denn schon einmal einen Controller in der Hand gehabt hätte. Es gibt sogar aus rechten Gaming-Kreisen Gerüchte über die Kampagne »Keinen Pixel den Faschisten«, dass diese nichts anderes sei als die PR-Maßnahme des als »zu liberal« verschrienen Spieleentwicklers EA, um die Gamer-Szene zu diskreditieren.
Sexismus und rechte Tendenzen sind in der Szene durchaus miteinander verknüpft. Aus der frauenfeindlichen »GamerGate«-Kampagne, die 2014 begann und wütende, mysogyne Männer mobilisierte, erwuchs die rechte »Alt-Right«-Bewegung in den USA. An »GamerGate« sind der rechte Star-Blogger Milo Yiannopolous und der populäre YouTuber Stefan Molyneux federführend beteiligt. Sie inszenieren sich als Vorkämpfer für »Ethik im Videospieljournalismus«. De facto handelte es sich um eine Hetzkampagne gegen Frauen und queere Menschen aus der Videospielcommunity wie Zoë Quinn, die Entwicklerin Brianna Wu oder die Kulturwissenschaftlerin Anita Sarkeesian, die sich in YouTube-Videos kritisch mit Sexismus in Spielen auseinandersetzte. Sie wurden massiv belästigt und bedroht. So gab es beispielsweise ein Spiel, in dem man Sarkeesian verprügeln konnte. Zudem wurden die Wohnadressen der Betroffenen veröffentlicht, einige von ihnen mussten mehrmals umziehen.
Dass Misogynie in der Videospielszene so verbreitet ist, liegt laut Aurelia Brandenburg und Pascal Wagner sowohl an der Gesellschaft, die patriarchal aufgebaut ist, wie auch am Selbstverständnis der Gaming-Szene. »An der Selbstidentifikation als ›Gamer‹ hängt eine ganze Identität, in der Frauen nur am Rande vorkommen«, sagt Brandenburg. Diese Identität lasse auch nur ein bestimmtes, andere ausgrenzendes Verständnis von Spielen zu: »Spiele müssen auf dem schwersten Level gespielt werden, und weiblich oder kindlich konnotierte Spiele wie ›Die Sims‹, Nintendo- oder Handyspiele sind kein ›richtiges‹ Gaming.«
Nach wie vor betrachte sich die Szene selbst als weiß, hetero und männlich, was sich auch in den Protagonisten vieler Spiele zeigt - ein schweigsamer, maskuliner Soldat ist da noch immer die Regel. »Je weiter eine Person, die Kritik an Spielen oder der Szene übt, von der Schablone des weißen Mannes abweicht, umso stärker ist die Gegenwehr«, berichtet Wagner. »Jede Form eines Gegenentwurfs gilt als Angriff auf diese Identität.«
Das zeigt sich gerade an den Reaktionen auf den Nachfolger des erfolgreichen Zombie-Spiels »The last of us«: zahlreiche Gamer regen sich in sozialen Netzwerken darüber auf, dass die Protagonistin des Spiels anstatt eines knappen Kleidchens Hemd und Jeans trägt, und dass sie zudem noch eine lesbische Beziehung führt.
Viele männliche Gamer fühlen sich von einer Veränderung der Spiele bedroht und reagieren deswegen aggressiv. Der antifeministische Backlash findet sowohl online wie offline statt. Auch rechtsextreme Radikalisierung spielt eine Rolle. »Bestimmte sprachliche und soziale Codes aus dem Rechtsextremismus und der Gaming-Community fließen ineinander«, erklärt Brandenburg, und ihr Mitstreiter Wagner fügt hinzu: »Wer sich online radikalisiert, kommt nicht umhin, sich über die Gaming-Community zu radikalisieren. ›Alt-Right‹ und ›GamerGate‹ bedingen einander.« Der ehemalige Trump-Berater und »Alt-Right«-Politiker Steve Bannon hat bekannt, sich für seine Onlinestrategien unter anderem auch an »GamerGate« orientiert zu haben.
Hierzulande versuchen AfD und Identitäre über die Videoplattform »Steam« und in Spiel-Foren oder Multiplayer-Spielen, Propaganda zu verbreiten und Mitglieder zu gewinnen. Laut Wagner und Brandenburg jedoch nur mit mäßigem Erfolg.
Allgemein sollten die Spiele und ihre Spieler im gesamtgesellschaftlichen Kontext betrachtet werden. Nicht nur die Bundeswehr wirbt jedes Jahr bei Videospielmessen um Mitglieder; Waffen- und Militärromantik ist bei Spielen omnipräsent. Doch das Militärische wird meist eher als spielfunktional, denn als explizit politisch verstanden. Das sei auch die Schuld der Entwicklerstudios, sagt Pascal Wagner: »Spieleentwickler bedienen sich historisch am Zweiten Weltkrieg, antworten aber auf die Frage, ob ihr Spiel politisch sei, mit ›Nein‹. Das wird zu einer Ausrede für die Community: man sei nicht politisch, man spielt ja nur.«
Doch langsam ändert sich die Szene. Große Entwicklerstudios wie EA oder Bethesda publizieren immer mehr Spiele mit Protagonistinnen - hauptsächlich, weil sich diese auch an Frauen verkaufen lassen. In den Studios ist eine Diversifizierung zu beobachten - und auch ein Trend zur gewerkschaftlichen Organisierung. Zwar regen sich Gamer immer noch regelmäßig über jede progressive Veränderung auf, aber Brandenburg und Wagner sind optimistisch: der Fortschritt ist nicht mehr aufzuhalten.
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