La ola mit Schlipsträgern

SONNTAGSSCHUSS: Der Fußball, fürchtet Christoph Ruf, könnte im Saisonfinale Bilder produzieren, die auch die gutmütigsten Fans vergrätzen

So langsam komme ich rein in diese komische Saison. Berufsbedingt habe ich bisher an jedem Wochenende irgendwelche Geisterspiele im Stadion gesehen, darunter solche Preziosen wie Sonnenhof Großaspach gegen Spielvereinigung Unterhaching. Ich habe das alles - ohne Zuschauer und die von ihnen verantworteten Emotionen - immer als andere Sportart wahrgenommen. Wenngleich ein Zweikampf natürlich ein Zweikampf bleibt. Und ein Fallrückzieher eben ein Fallrückzieher. Okay, den habe ich jetzt nur geträumt.

Gestern, auf dem Rückweg vom Hoffenheimer Heimspiel gegen die von Fans und allen guten Geistern verlassenen Eisernen aus Berlin-Köpenick, habe ich mich zum ersten Mal dabei ertappt, dass mich das Spiel noch ein wenig länger als bis zur Textabgabe beschäftigt hat. Auch wenn der Gegner einen Auftritt hinlegt, der in letzter Konsequenz mit Badelatschen und Cocktailglas in der Hand bestritten werden müsste, können 90 Minuten ja Spaß machen. Zumindest dann, wenn die andere Mannschaft solch einen schönen Fußball spielt wie Hoffenheim. Beste Unterhaltung mit Mund-Nasen-Schutz war das. Und wahrscheinlich der Grund, warum ich mir auch erstmals seit dem Frühjahr zu Hause auch noch die »Sportschau« angeschaut habe und zumindest kurzzeitig etwas von der Spannung gespürt habe, die einen an den letzten beiden Spieltagen einer Saison ja gerne einmal ergreift.

Das dauerte zumindest eine halbe Stunde, dann ließ sich die Text-Bild-Schere nicht mehr leugnen, die dann entsteht, wenn hochemotionalisierte Reporter ein Spiel kommentieren, bei dem die Kulisse aus vielen tausend leeren Sitzschalen besteht. Selbst das Black-Power-Zeichen, das ein paar Mainzer Spieler nach einem Torerfolg demonstrierten, wirkt ja nicht ganz so beeindruckend, wenn die trotzigen Fäuste einer menschenleeren Betontribüne entgegengereckt werden.

Aber ich gebe zu: Was da unten im Tabellenkeller passierte, die Spiele von Werder, Düsseldorf und Köln, die wollte ich sehen. Was es zum Geschehen an der Tabellenspitze zu sagen gibt, hatten dann ja auch die Mainzer auf ein vorbereitetes Shirt drucken lassen. »8 x Meister. Langweilig? 11 x drin bleiben. Mainzer Weltklasse«.

Wer weiß, wenn die Saison nicht nächste Woche enden würde, sondern erst in vielen Monaten; vielleicht würde ich ja wieder zum »Sportschau«-Dauergucker werden. So aber bin ich vor und nach den drei Abstiegskampfberichten rausgegangen. Das Wetter war so schön.

Auch im Freundes- und Bekanntenkreis gibt es sehr unterschiedliche Wahrnehmungen. Da sind die einen, die sich mit den Übertragungen im Fernsehen arrangieren. Die meisten meiner Bekannten legen aber eine ähnliche Haltung an den Tag wie die Ultragruppen, für die die Saison ja längst beendet ist. Gleichgültigkeit und offene Abwehr des Geister-Gespieles scheinen im Übrigen eine weit verbreitete Stimmung zu sein; die Einschaltquoten sind sowohl bei Sky als auch bei den Zweitverwertern recht katastrophal.

Umso mehr sollte der Fußball aufpassen, dass er durch die Bilder, die er produziert, nicht die Menschen vergrätzt, die ihm eine weitere Bewährungschance einräumen wollen. Ich würde es für billigsten Populismus halten, wenn Spieler und Funktionäre auch noch am achten Corona-Spieltag in jedem Interview betonen würden, wie sehr sie die Fans vermissen. Die Branche sollte aufpassen, dass sie vor lauter Tristesse keine Ersatzhandlungen vollführt. Es kann kein Zufall sein, dass in vielen Stadien derzeit irgendwelche Funktionäre herumbrüllen und im Oberrang stehend versuchen, das akustische Vakuum zu füllen.

Es gibt zwei Spielarten des Feldherren-Syndroms. Denjenigen, der sich als Herr einer Fankurve wähnt und irgendwelche Gesänge intoniert, die er aufgeschnappt zu haben meint. Und den, der sich als Trainer ohne DFL-Lizenz wähnt. Wer einmal auf einer Pressetribüne saß, in der von oben links 90 Minuten lang »Stell ihn, W«, »Tempo mitnehmen, X«, »super, Y«, »weiter so, Z« gebrüllt wurde, weiß, dass das Zeilenhonorar hierzulande deutlich zu niedrig ist.

Als der FC Bayern am vergangenen Dienstag zum 387. Mal Deutscher Meister wurde und es in der Gästekurve niemanden gab, mit dem man sich gemeinsam hätte freuen können, starteten Neuer, Müller, Lewandowski und Co. die »La ola« einfach zusammen mit den Schlipsträgern auf der Haupttribüne. Das war kein schöner Anblick. Aber vielleicht war es einfach nur ehrlich.

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