Wer nicht mit uns ist, ist gegen uns

Solidarität und Müll: Die Zuteilung von Identitätsrechten schreibt jene Ungleichheit fest, die eigentlich aufgelöst werden soll

  • Michael Bittner
  • Lesedauer: 4 Min.

Die mediale und politische Kampagne gegen Hengameh Yaghoobifarah wegen der Taz-Kolumne »All cops are berufsunfähig« ist ein rechter Versuch, den Gegner einzuschüchtern und einen Geländegewinn im Kampf um die Hegemonie im öffentlichen Raum zu erzielen. An dieser Kampagne nicht mitzuwirken und sich ihr entgegenzustellen, ist eine Frage der politischen Klugheit, aber auch des Prinzips, die Redefreiheit als Mittel der Kritik an den herrschenden Verhältnissen zu verteidigen. Die von manchen laut erhobene Forderung, solches Verhalten genüge nicht, auch ein Lob des Textes sei unbedingt erforderlich, ist Ausdruck einer Kriegslogik: Wer nicht völlig mit uns ist, der ist ganz gegen uns.

Beide Seiten verwickeln sich in dieser Auseinandersetzung in Widersprüche. Eine Gruppe, die sonst jedes Wort übergenau, aber ohne Rücksicht auf den literarischen Kontext, daraufhin prüft, ob es »verletzende« Wirkung haben könnte, verteidigt plötzlich die uneingeschränkte Rede- und Satirefreiheit. Eine andere Gruppe, die sonst jeden rassistischen, sexistischen und klassistischen Dreck unter dem Vorwand der Meinungsfreiheit entschuldigt, heuchelt auf einmal Sensibilität für sprachliche Gewalt und will entdeckt haben, dass aus Worten Taten werden können. Angesichts solcher Verwirrung ist man fast geneigt, sich zur nihilistischen Einsicht von Panajotis Kondylis zu bekehren, Argumente seien nie etwas anderes als Waffen im Kampf um politische Macht und darum auch beliebig austauschbar.

Die Freunde von Hengameh Yaghoobifarah beklagen eine mangelnde »Solidarität«, sogar in linken Kreisen. Woher könnte dieser Mangel rühren? Könnte es sein, dass jene Strömung, die man als identitätspolitisch orientierte Linke bezeichnen mag, eben die Solidarität zersetzt hat, nach der sie nun ruft? Dass sie ungewollt oder ausdrücklich die Prinzipien des Universalismus und der Gegenseitigkeit leugnet, ohne die Solidarität nicht zu haben ist?

Vor einer Weile flatterte mir im Internet ein Kommentar einer Aktivistin vor Augen, der das Problem veranschaulichen kann. Er lautet ins Deutsche übersetzt: »Okay, hier ist das Problem mit der Idee, unterdrückte Gruppen könnten, wenn sie nicht nett genug sind, Verbündete entfremden. Du solltest nicht deswegen ein Verbündeter sein, weil unterdrückte Gruppen nett zu dir sind. Du solltest ein Verbündeter sein, weil du glaubst, dass sie grundlegende Menschenrechte verdienen. ›Ich hasse Männer!‹ zu hören, sollte Männer nicht daran hindern, Feminist zu sein. ›Scheiß auf Weiße!‹ zu hören, sollte Weiße nicht davon abbringen, sich gegen Rassismus zu stellen. Deine Gegnerschaft zur Unterdrückung sollte moralisch und unerschütterlich sein. Dein Glaube, dass alle Menschen mit gleichem Respekt behandelt werden müssen, sollte nicht davon abhängen, ob einzelne Menschen nett zu dir sind.«

Kein vernünftiger Mensch wird die Prämisse bestreiten, dass Menschenrechte allgemein sein sollten und nicht verdient werden müssen. Doch fällt eben deswegen auf, wie in diesem Aufruf Universalität und Gegenseitigkeit untergraben werden. Denn hier beanspruchen Gruppen, wenigstens Einzelne aus diesen, das Recht, andere Gruppen respektlos zu behandeln und doch zugleich von ihnen respektiert zu werden. Lassen sich aber universelle Menschenrechte von einer Position aus einfordern, die eine prinzipielle Asymmetrie behauptet? Zur Verteidigung ließe sich sagen: Diese Asymmetrie spiegelt nur die Asymmetrie ungleicher Machtverteilung in der Wirklichkeit. Manche Gruppen dominieren bislang und müssen sich deswegen zum Ausgleich auch einmal etwas gefallen lassen. Doch sind Identitäten tatsächlich nicht so klar verteilt, wie der Kommentar suggeriert, weil sie sich vielfach schneiden und widersprechen. Schon bei schwarzen Männern und weißen Frauen wird’s kompliziert. Und die Zuteilung von Identitätsrechten schreibt eben die Ungleichheit dauerhaft fest, die doch eigentlich aufgelöst werden soll.

Selbst wenn man trotz aller Einwände diese identitätspolitische Logik schlüssig findet, bleibt davon eine Tatsache unberührt: Sie überzeugt keine Mehrheit. Die meisten Menschen halten die Universalisierungsregel, deren einfachste Form lautet: »Tu keinem, was du nicht selbst erleiden willst!«, für eine gute Grundlage der Moral. Kaum wird eine politische Strömung größeren Erfolg haben, die behauptet: Wenn ich dich als »Müll« bezeichne, ist das legitimer Protest; wenn du mich als »Müll« bezeichnest, ist das Menschenfeindlichkeit. Dieser Widerspruch mag den Widersprüchen der Gesellschaft entspringen, den meisten Leuten fällt er trotzdem als unhaltbar ins Auge. Wer dennoch darauf besteht, so zu argumentieren, wird sich damit bescheiden müssen, im kleinen Kreis gefeiert zu werden, im Ganzen aber im besten Fall nichts zu bewirken.

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