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Nur Verlierer bei der Linken
Kreisparteitag streitet über Umgang mit der AfD in Forst, findet aber keinen Ausweg
Rudi Krüger tritt am Sonnabend im Cottbuser Kino »Weltspiegel« ans Rednerpult. Es läuft ein außerordentlicher Kreisparteitag der Lausitzer Linkspartei. Die Linken sei Lakaien des Kapitals geworden, die Partei spreche nicht mehr mit den Menschen, schimpft Krüger, zerreißt seine Mitgliedskarte, wirft die Schnipsel der Tagungsleitung auf den Tisch und geht. Ungefähr ahnte der Kreisvorsitzende Matthias Loehr voraus, dass es zu solchen Szenen kommen könnte, dass Genossen von der einen oder anderen Seite enttäuscht aus der Partei austreten. Es werde hier keine Sieger, sondern nur Verlierer geben, meint Loehr zu Beginn und sagt zum Schluss, so sei es nun gekommen.
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Am 18. Mai trat Ingo Paeschke, Linksfraktionschef in der Stadt Forst, bei einem Pressegespräch Seite an Seite mit AfD-Fraktionschef Konstantin Horn auf – ausgerechnet in der Geschäftsstelle der Linkspartei. Beide informierten über den Neubau eines Jugendzentrums, den sie befürworten. Das wird in Cottbus und anderswo als Schulterschluss mit Rassisten gewertet und als Tabubruch empfunden. Es hat bundesweit für Aufregung gesorgt. Selbst Gregor Gysi telefonierte deshalb mit Paeschke. Aber in Forst halten die Genossen überwiegend zu ihm. »Die Mitgliedschaft wünscht, fordert und erwartet, dass Ingo Fraktionsvorsitzender bleibt«, berichtet die Ortsvorsitzende Cornelia Janisch.
»Dieses Pressegespräch in den eigenen Räumen der Partei zu machen, war nicht in Ordnung, war ein Fehler«, gibt Paeschke im Kino »Weltspiegel« erstmals in dieser Deutlichkeit öffentlich zu. Hätte er das früher getan und hinzugefügt, dass sich dies nicht wiederholen werde, so wäre die Sache erledigt gewesen. »Jeder von uns macht Fehler und jeder von uns darf Fehler machen«, gesteht Matthias Loehr zu. Laut Paeschke ist abgesehen von dem Jugendzentrum aktuell auch kein kommunalpolitisches Thema in Sicht, bei dem Linke und AfD einer Meinung sind.
Doch mittlerweile verlangte der Landesvorstand den Rücktritt von
Paeschke. Weil er auf seinem Posten bleibt, wurde ein Parteiausschlussverfahren eingeleitet. Der Antrag sollte eigentlich längst bei der Landesschiedskommission liegen, ist aber noch nicht vollständig ausgearbeitet. Der Rücktritt gehörte auch zu den Bedingungen, unter denen der Kreisvorstand noch kurzfristig seinen Antrag zurückgezogen hätte, den Ortsverband Forst aufzulösen.
Dass eine Auflösung überhaupt zur Debatte steht, führt im Kino »Weltspiegel« zu einer hitzigen Diskussion, bei der »Buh«, »Pfui« und »Lüge« dazwischengerufen wird. »Hört auf, Euch anzuschreien«, bittet Paeschke. Er wird oft unterbrochen. Andere können ebenfalls nicht ausreden, obwohl Tagungsleiter Eberhard Richter mehrfach ermahnt. Die Atmosphäre ist emotionsgeladen. Einige wie Verena Barth fühlen sich zurückversetzt in finstere Zeiten des Stalinismus und Dogmatismus. »Ich war und bin Antifaschistin«, betont Gudrun Ritschel aus Forst verärgert. Sie nimmt den Auflösungsversuch persönlich. »Was habe ich denn verbrochen?«
Horst Baier war 25 Jahre Stadtverordneter in Forst und kämpfte in dieser Zeit vergeblich für ein Jugendzentrum am Stadion. »Wir hatten es schon aufgegeben«, sagt er. Jetzt ergab sich noch eine Chance – weil die AfD auch dafür ist. Baier und Ritschel halten es für richtig, die Chance zu nutzen und eine solche Sachfrage nicht hochzuspielen. Doch Genossen aus Cottbus, Guben oder Spremberg geht ums Prinzip.
Enrico Hirth erzählt von seiner Urgroßmutter. Sie trat 1910 in die evangelische Kirche ein, hatte aber jüdische Wurzeln und wurde von den Nazis ermordet. Nächstes Jahr will er an ihrem letzten Wohnort in Dresden einen Stolperstein verlegen lassen. Ihm graut davor, bei der Zeremonie gefragt zu werden, warum seine Partei mit der AfD kooperiere.
Wenn die Linke dies toleriert, würde das eine Normalisierung in Gang setzen, warnt Konstantin Gorodetzky. Die Linie verläuft nicht trennscharf zwischen Forst und dem Rest des Kreisverbandes. Einige sehen es hier wie dort so oder so.
Nach drei Stunden die Abstimmung: 66 Genossen sind für die Auflösung des Ortsverbandes und 36 dagegen, sechs enthalten sich. Die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit ist damit um fünf Stimmen verfehlt. Die einfache Mehrheit genügt für eine Aufforderung an die Linksfraktion von Forst, sich nicht mehr so zu nennen. Das beschließt der Kreisparteitag mit 76 zu 36 Stimmen. Praktische Auswirkungen hat es allerdings nicht. Man denke nicht daran, auf den Namen zu verzichten, erklärt Linksfraktionschef Paeschke.
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