Venezuelas Parlament vor Neuwahlen
Wahlrat setzt Termin fest - Opposition schäumt
»Das ganze Land ist aufgerufen, am 6. Dezember 2020 an den Wahlen teilzunehmen, die die Nationalversammlung für den Zeitraum von 2021 bis 2026 bestimmen.« Mit diesen Worten kündigte Indira Alfonzo Neuwahlen für das Parlament in Venezuela an, das seit den vergangenen Wahlen im Dezember 2015 zentraler Schauplatz der Auseinandersetzung zwischen rechter Opposition und der linken Regierung rund um die Vereinigte Sozialistische Partei Venezuelas (PSUV) von Präsident Nicolás Maduro ist.
Alfonzo, die erst Mitte Juni unter dem Protest der Opposition vom regierungsnahen Obersten Gerichtshof an die Spitze des Wahlrats berufen wurde, verkündete am Mittwoch im venezolanischen Fernsehen den Aufruf an das »ganze« Volk mit Bedacht. Ein Teil der Opposition um den Interimspräsidenten Juan Guaidó, der sich im Januar 2019 selbst dazu erklärte, wird den Wahlen mutmaßlich fernbleiben, da ist es wichtig, dass die Wählerschaft dem nicht folgt. Seit den Wahlen 2015, als es eine Wahlbeteiligung von 75 Prozent gab und die Opposition fast zwei Drittel aller Sitze einheimste, geht es mit der Wahlbeteiligung in Venezuela stetig bergab. Selbst bei den Präsidentschaftswahlen 2018, als Nicolás Maduro bei einem großflächigen Boykottaufruf durch die Opposition seinen Wahlsieg von 2013 wiederholte, lag die Beteiligung nur bei 48 Prozent - 2013 waren es noch 80 Prozent gewesen.
Juan Guaidó ließ mit seinem Aufruf zum erneuten Wahlboykott nicht lange auf sich warten. »Wir Venezolaner erkennen keine Farce an, genau, wie wir es im Mai 2018 nicht getan haben«, schrieb Guaidó auf Twitter. »Wir haben uns für ein Leben mit Würde und in Demokratie entschieden.« Guaidó gilt nach einer Reihe politischer Rückschläge und gescheiterter Umsturzversuche auch in den eigenen Reihen als angezählt.
Die turnusmäßig im Dezember anstehenden Neuwahlen hatte vor ein paar Wochen schon Präsident Maduro angekündigt. »Nehmen wir die Herausforderung an, uns vorgezogenen Wahlen zur Nationalversammlung zu stellen, damit wir mit Stimmen zeigen, wer den Rückhalt des Volkes genießt«, schrieb Maduro auf Twitter. Dass Venezuelas Opposition den großen Erfolg von 2015 wiederholen könnte, selbst wenn sie komplett antreten würde, ist angesichts ihrer Zerstrittenheit unwahrscheinlich.
Im Januar hatte sich Venezuelas Parlament in einer beispiellosen Doppelabstimmung in Anhänger und Gegner der Maduro-Regierung gespalten. Regierungstreue Parlamentarier der sozialistischen Einheitspartei und Abtrünnige des Oppositionsbündnisses rund um Guaidó wählten dabei den aus dem Oppositionslager stammenden Luis Parra zum neuen Vorsitzenden. Etwa 100 Abgeordnete der Opposition bestätigten hingegen Guaidó.
Das venezolanische Parlament hatte schon davor an Bedeutung eingebüßt. Seit der Wahl und Installation der Verfassunggebenden Versammlung 2017 ist das Parlament entmachtet und hat seine legislative Kompetenz an den Verfassungskonvent abgeben müssen.
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