Kündigungsschutz gilt nicht immer
Bundesarbeitsgericht zum Sonderkündigungsrecht bei behinderten Mitarbeitern
Auch schwerbehinderte Arbeitnehmer sind trotz ihres gesetzlichen Sonderkündigungsschutzes vor einer fristlosen Kündigung nicht gefeit. Selbst wenn das zu beteiligende Integrationsamt seine Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung erst nach Ablauf der gesetzlichen zweiwöchigen Kündigungsfrist erteilt hat, verbleibt dem Arbeitgeber dann immer noch bis zu einer weiteren Woche, um den schwerbehinderten Beschäftigten zu entlassen, stellte das Bundesarbeitsgericht (BAG) in einem am 14. Mai 2020 veröffentlichten Urteil (Az. 2 AZR 390/19) klar. Die Erfurter Richter kräftigten damit ihre bisherige Rechtsprechung.
Nach den gesetzlichen Bestimmungen muss eine außerordentliche fristlose Kündigung innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist fängt für den Arbeitgeber ab Kenntnis der maßgeblichen Kündigungsgründe an zu laufen.
Bei schwerbehinderten Arbeitnehmern gilt ein besonderer Kündigungsschutz. Denn hier muss grundsätzlich vor Ausspruch einer Kündigung die Zustimmung des Integrationsamtes eingeholt werden. Die Behörde hat dann zwei Wochen Zeit, über den Antrag zu entscheiden. Wird keine Entscheidung gefällt, gilt die Zustimmung als erteilt.
Überschreiten der Frist hat Folgen
Doch die dem Integrationsamt eingeräumte Frist kann dazu führen, dass die übliche gesetzliche Zweiwochenfrist für den Ausspruch der fristlosen Kündigung überschritten wird. In diesem Fall darf der Arbeitgeber trotzdem kündigen, »wenn sie unverzüglich nach Erteilung der Zustimmung erklärt wird«, heißt es im Sozialgesetzbuch IX.
Im konkreten Fall ging es um eine an einer Berliner Oberschule angestellte Lehrerin. Der Arbeitgeber hatte der Frau wiederholt fristlos gekündigt. Weil die Lehrerin beim Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales zwischenzeitlich einen Antrag auf Feststellung der Schwerbehinderung gestellt hatte, holte der Arbeitgeber nun - wie vorgeschrieben - für seine beabsichtigte letzte fristlose Kündigung die Zustimmung des Integrationsamtes ein. Diese wurde am 20. April 2016 erteilt, am 26. April 2016 wurde der Lehrerin fristlos gekündigt.
Lehrerin hielt Kündigung für unwirksam
Die Lehrerin hielt die fristlose Kündigung für unwirksam. Diese sei viel zu spät ausgesprochen worden, weil die Vorwürfe länger als zwei Wochen zurücklägen. Das Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin-Brandenburg gab ihr Recht.
Das BAG hob diese Entscheidung auf und verwies das Verfahren an das LAG zurück. Dieses habe gar nicht festgestellt, welche Vorkommnisse zur letzten Kündigung führten. Wann der Schulträger davon erfuhr, sei auch nicht klar. Das LAG habe aber auch nicht die Unwirksamkeit der fristlosen Kündigung feststellen dürfen, nur weil die hierfür übliche Zweiwochenfrist überschritten war.
Das Integrationsamt habe hier erst nach Ablauf der Frist seine Zustimmung zur Kündigung erteilt. In diesem Fall sei der Arbeitgeber gehalten, ab erteilter Zustimmung »unverzüglich« zu kündigen. Als »unverzüglich« gelte eine Kündigung innerhalb einer Woche, befand das BAG. Diese Frist sei hier eingehalten worden.
Nachgereichter Behindertenstatus schützt
Den Sonderkündigungsschutz für schwerbehinderte Menschen können betroffene Arbeitnehmer nach einer weiteren Entscheidung des BAG vom September 2016 (Az. 2 AZR 700/15) aber beanspruchen, selbst wenn der Arbeitgeber zum Kündigungszeitpunkt nichts von der Schwerbehinderung wusste.
Nach den geltenden Bestimmungen haben schwerbehinderte Arbeitnehmer auch drei Wochen nach Erhalt der Kündigung noch Zeit, um dem Arbeitgeber die Schwerbehinderung mitzuteilen.
Nach einem Urteil des Landesarbeitsgerichts (LAG) Düsseldorf vom September 2011 (Az. 5 Sa 672/11) kann diese Regelfrist in begründeten Fällen sogar um einige Tage überschritten werden, wenn das Anerkennungsverfahren noch läuft. Selbst dann müsse der Arbeitgeber noch das Integrationsamt einschalten und um Zustimmung der Kündigung bitten.
In einem weiteren Verfahren urteilte das BAG im Februar 2012 (Az. 6 AZR 553/10), dass der Sonderkündigungsschutz für schwerbehinderte Arbeitnehmer wegen »widersprüchlichen Verhaltens« auch verloren gehen kann.
Im Streitfall hatte ein Insolvenzverwalter die Beschäftigten eines Pleiteunternehmens nach einer Schwerbehinderung gefragt, um Kündigungen vorzubereiten und eine hierfür erforderliche Sozialauswahl treffen zu können. Als der Kläger die Schwerbehinderung verneinte und die Kündigung erhielt, hielt er diese für unwirksam. Er sei schwerbehindert, so dass das Integrationsamt der Kündigung hätte zustimmen müssen.
Das BAG entschied, dass sich wegen dieses »widersprüchlichen Verhaltens« der Kläger nicht mehr auf den Sonderkündigungsschutz für Schwerbehinderte berufen kann. epd/nd
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