Der NSU 2.0 droht erneut

Demokratische Parteien erklären Solidarität mit hessischer Linksfraktionsvorsitzender

  • Sebastian Bähr
  • Lesedauer: 4 Min.

Ein bekanntes Muster: Janine Wissler, die Fraktionsvorsitzende der hessischen Linkspartei und stellvertretende Bundesvorsitzende, hat zwei Droh-Emails bekommen. Unterzeichnet waren die bereits im Februar verschickten Mitteilungen mit »NSU 2.0« - eine Anspielung auf die rechte Terrorgruppe »Nationalsozialistischer Untergrund«, die von 2000 bis 2007 zehn Menschen ermordete.

Besonders brisant: Die Mails enthielten persönliche Informationen, die nicht öffentlich zugänglich sind. Sie stammen damit womöglich von einer Polizeidienststelle. Diesen Eindruck unterstreicht der Verfasser, indem er sich nach Informationen der »Frankfurter Rundschau« auf angeblich innerdienstliche Erkenntnisse beruft und eine Gruppe von Beamten beleidigt, die sich in einer internen Aufklärungsgruppe mit rechten Vorfällen bei der hessischen Polizei befassen. Die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main wollte sich noch nicht konkret äußern. »Wir ermitteln auf Hochtouren«, sagte die Oberstaatsanwältin Nadja Niesen gegenüber »nd«. Das beziehe auch die mögliche Involviertheit der hessischen Polizei mit ein, bestätigte sie auf Nachfrage.

Laut der »FR« waren die Drohmails mit Beleidigungen und extrem rechten Bezügen versehen. Der Absender benutzte demnach die Nazi-Grußformeln »Sieg Heil« und »Heil Hitler«. Er droht Wissler einen »Tag X« an, an dem Polizisten die Politikerin nicht beschützen werden. »Tag X« ist in extrem rechten Kreisen eine Art Code für den Moment, an dem die Regierungsgewalt in Deutschland zusammenbricht und rechte Terrorgruppen zuschlagen sollen.

Eine Frage, die sich viele nun stellen: Sind für die Drohbriefe an Wissler dieselben Personen verantwortlich, die bereits die Frankfurter Rechtsanwältin Seda Basay-Yildiz einschüchtern wollten? Beginnend im August 2018 hat die Juristin und Nebenklägerin im NSU-Prozess bis heute mehr als ein Dutzend Schreiben mit der Kennzeichnung »NSU 2.0« erhalten. In den Faxen wurden Basay-Yildiz sowie ihren Angehörigen der Tod angedroht. Die Mitteilungen hatten auch persönliche Informationen über sie, ihre Tochter und weitere Familienangehörige enthalten.

Bei Ermittlungen stellte sich heraus, dass die persönlichen Daten der Anwältin ohne dienstlichen Anlass aus der Dienststelle des 1. Polizeireviers in Frankfurt am Main abgerufen worden waren. Die Staatsanwalt stieß bei Nachforschungen auf eine Chatgruppe, in der Beamte extrem rechte Inhalte austauschten. Mehrere in dem Revier tätige Polizisten wurden vom Dienst suspendiert. Gegen einige laufen Ermittlungsverfahren wegen Rechtsextremismusverdacht.

Seit fast zwei Jahren ermittelt die Staatsanwaltschaft in dem Fall. Doch wer die Verfasser sind, ist bis heute nicht aufgeklärt. Die extrem rechten Netzwerke innerhalb der hessischen Polizei sind damit offenbar weiterhin aktiv.

Bei der hessischen Linkspartei zeigte man sich erschrocken und erschüttert über die an Wissler gerichteten Drohmails. »Bis heute sind die rechten Netzwerke in den hessischen Behörden nicht vollumfänglich ermittelt«, kritisierte der Landesvorsitzende Jan Schalauske gegenüber »nd«. Auch die hessische Linkspartei sieht Parallelen zum Fall Seda Basay-Yildiz. »Wir fordern nun eine schonungslose Aufklärung«, so der Politiker. Schalauske betonte, dass der rechte Terror insgesamt in Deutschland weiterhin verharmlost werde. »Viel zu oft haben wir erlebt, dass die Behörden auf dem rechten Auge blind sind«, sagte der Landesvorsitzende.

Die Fraktionsvorsitzenden von CDU, SPD, Grünen und FDP im Landtag veröffentlichten noch am Samstag eine gemeinsame Erklärung, in der sie der Linken-Politikerin ihre Solidarität bekundeten. »Die demokratischen Parteien im Hessischen Landtag sind entsetzt über die offenbar rechtsextremistischen Drohungen«, heißt es in dem Schreiben. Diese seien »abscheulich und widerwärtig«, erklärten die Fraktionschefs Ines Claus (CDU), Nancy Faeser (SPD), Mathias Wagner (Grüne) und René Rock (FDP).

Auch außerparlamentarische Initiativen zeigten sich besorgt. »Als Beratungsstelle für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt entsetzen uns die Drohbriefe. Uns überraschen derartige Vorfälle leider nicht mehr«, sagte Olivia Sarma, Leiterin der Beratungsstelle Response in der Bildungsstätte Anne Frank. »Aus unserer Sicht hat dies auch damit zu tun, dass Politik und Behörden das Problem zu lange unter den Teppich gekehrt haben«, so die Leiterin weiter. Die Initiative »Migrantifa Frankfurt« äußerte sich am Wochenende ähnlich: »Die Polizei in Hessen ist das Problem.«

In den vergangenen Tagen kam es bundesweit verstärkt zu mutmaßlich rechten Drohungen und Angriffen. Ende Juni hatte ein Unbekannter versucht, die oberbayerische Bezirksrätin Stefanie Kirchner zu strangulieren. Die Linke-Politikerin konnte sich in letzter Sekunde befreien. Ein Unbekannter schoss zudem vergangene Woche in Chemnitz auf ein zehnjähriges afghanisches Kind. Die Ermittlungen dauern an.

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