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Die neue schwarze Linke
Das Establishment hat ein teils schwieriges Verhältnis zu jungen afroamerikanischen Progressiven
Der 17. Kongresswahlbezirk in New York in den nördlichen Vororten von Amerikas größter Stadt ist eher wohlhabend und zu 60 Prozent weiß. Bisher wurde er im Kongress von der jüdischen Politikerin Nita Lowey vertreten. Lange Zeit hatte sie nur einen einzigen Herausforderer in der diesjährigen Vorwahl, den schwarzen Anwalt und »Progressiven« Mondaire Jones. Dann entschied die 82-Jährige, nicht mehr anzutreten. Für den nun »offenen« Parlamentssitz bewarben sich plötzlich acht Kandidaten, darunter der weiße Sohn eines Pharmamillionärs und ein ehemaliger Abgeordneter aus dem Staatsparlament, der dort oft mit Republikanern kooperiert hatte.
Noch Anfang Juni sah eine Umfrage unter Wählern keinen klaren Favoriten. Doch dann gab es wochenlang Black-Lives-Matter-Demonstrationen und die Wählerschaft im Bezirk entschied sich für Jones. Am Wahlabend holte er 43 Prozent der Stimmen. Weil in New York die Auszählung der Briefwahlstimmen immer noch andauert, gibt es noch kein amtliches Endergebnis. Wahlexperten gehen aber davon aus, dass Jones Vorsprung uneinholbar ist.
Der erst 33-Jährige wuchs als Sohn einer alleinerziehenden Mutter in Sozialbauten und mit Lebensmittelmarken auf, studierte in Harvard Jura und arbeitete später unter Ex-Präsident Barack Obama für das Justizministerium. Der bekennende Schwule lehnt Großspendergeld ab und verspricht, ein aktivistischer Abgeordneter sein. Er machte mit zentralen linken Forderungen Wahlkampf: 15 Dollar Mindestlohn, ein Green New Deal, kostenlose Kinderbetreuung, Studiengebührenerlass, eine Reduzierung des Militärbudgets, vor allem aber: der Forderung nach einer Polizeireform.
Die Parteilinkenvereinigung Congressional Progressive Caucus kam Jones mit 100 000 Dollar für Wahlkampfspots zu Hilfe, um ihn im Bezirk ausreichend bekannt zu machen. Die Vereinigung der schwarzen Kongressabgeordneten, der Congressional Black Caucus (CBC), dagegen ließ die Gelegenheit verstreichen, einem schwarzen Politiker in einem engen Rennen wichtige Hilfe zukommen zu lassen. Man erklärte, zunächst keine Unterstützung aussprechen zu wollen, weil es eine weitere schwarze Kandidatin gebe. Schon früh war jedoch klar, dass diese chancenlos war - der CBC unterstütze Jones dann symbolisch in letzter Minute.
Noch deutlicher wurde das bestenfalls komplizierte Verhältnis des schwarzen Establishments zu progressiven aufstrebenden Politikern aus der Community im Fall Jamaal Bowman, der mit einem ähnlichen Programm wie Jones antrat. Am Ende des Wahlabends Ende Juni lag Bowman mit 58 Prozent uneinholbar vorne. Der ehemalige Schulleiter gewann im 16. New Yorker Wahlbezirk die Vorwahl gegen den langjährigen jüdischen Amtsinhaber Eliot Engel. Auch, weil der in der Coronakrise und bereits vorher weitgehend abwesend war. Vor allem aber, weil Bowman als ehemaliger Schulleiter im Bezirk bekannt war, also eine gewisse Basis mitbrachte, weil er in der Pandemie Hilfe organisierte und »lieferte«, und eben auch, weil er sich direkt an den Black-Lives-Matter-Demonstrationen beteiligte. Zudem ließ er seine eigenen Erfahrungen mit Polizeigewalt in den Wahlkampf einfließen. Neben einem viralen Social-Media-Wahlkampf, mit dem Bowman erfolgreich viele Kleinspenden einwarb, waren es vor allem die Justice Democrats - linke Aktivisten, die ausgewählte progressive Herausforderer im ganzen Land fördern - die Bowman unterstützen. Sie warben zusätzliches Geld für Fernsehspots ein. Der Congressional Black Caucus entschied sich gegen ein »Endorsement« von Bowman, unterstützte offiziell den Nichtschwarzen Engel und folgte damit der inoffiziellen Establishment-Regel in Washington, zur Verteidigung der eigenen Kollegen und der eigenen Macht keine Herausforderer zu unterstützen.
Dabei ging es nicht nur um den Verzicht auf plumpe Identitätspolitik à la »Schwarze unterstützen Schwarze«, das zeigt der Fall Megan Harper und die offene Abneigung gegenüber den Justice Democrats. Harper war wie Jones Regierungsangestellte unter Obama. Kurz nach Beginn ihrer Vorwahlkampagne für einen Wahlbezirk in Ohio wurde sie 2019 durch die Justice Democrats unterstützt. Sie trat an gegen Joyce Beatty, langjährige schwarze Amtsinhaberin und Mitglied des Congressional Black Caucus. Deren Mitglieder verteidigten sie aggressiv, machten dabei Identitätspolitik zur Waffe. Sie erklärten, die linken Aktivisten hätten es als privilegierte Weiße, die es sicht leisten könnten, Großspenden aus der Industrie zugunsten einer Graswurzel-Kleinspendenpolitik abzulehnen, bewusst auf schwarze Abgeordnete abgesehen, seien quasi rassistisch.
Harper sah sich schließlich gezwungen, auf Twitter darauf hinzuweisen das sie ebenfalls schwarz sei und das auch ein gewisser Barack Obama den Beginn seiner Polit-Karriere als Herausforderer eines CBC-Mitglieds begonnen habe. Sie verlor die Vorwahl im April übrigens deutlich mit 31 zu 68 Prozent. Teil der Wut im schwarzen Establishment über die Justice Democrats und die jungen progressiven Herausforderer war und ist auch Empörung über scheinbare Respektlosigkeit. Schließlich hat man sich jahrzehntelang in der Politik hochgearbeitet. Mittlerweile sitzen mehrere CBC-Mitglieder wichtigen Ausschüssen vor.
Doch Jahrzehnte nach der Bürgerrechtsbewegung zeigt die ähnlich hohe Segregation und rassistische Polizeigewalt das relative Scheitern der »black respectablity policts«, des beharrlichen Erarbeitens von Anerkennung und der Politik kleiner Schritte, und die Notwendigkeit für konfrontativere Politik oder einen weniger zurückhaltenden Stil. Jones jedenfalls will mit »Händen und Füßen kämpfen« und das Land »transformieren«. Die schwarzen Aufsteiger sind Politiker des Black-Lives-Matter-Moments. Sie zeigen, wie in der Community eine neue Generation die alte Politikerriege abzulösen beginnt - und zeigen eine erstarkende schwarze Linke. Im US-Kongress werden Bowman und Jones vermutlich die »Squad« um Alexandria Ocasio-Cortez, Ilhan Omar und Rashid Tlaib verstärken. In den Worten von Jones: »Die Energie bei den Demokraten ist auf der Linken.«
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