Im Stadtteil keine Distanzierung von der »Roten Flora«

Aktive des linken Hamburger Kulturzentrums erinnern daran, dass das Gros der Proteste gegen den G-20-Gipfel vor drei Jahren fantasievoll und friedlich war

  • Gaston Kirsche
  • Lesedauer: 5 Min.

Was ist geblieben von den fantasievollen G20-Protesten?
Kim: Zuerst wurde alles von der Deutung der Herrschenden überlagert, die medial dankbar aufgegriffen wurde und unsere Gegenerzählung unsichtbar gemacht hat. Aber unsere kollektive Erfahrung bleibt. Es gibt Dokumentarfilme und Sammelbände, und wir erinnern uns gemeinsam an die Vielfältigkeit der Proteste.

Und der polizeiliche Ausnahmezustand - vorbei und vergessen?
Konni: Sicher nicht. Es wird im Gedächtnis bleiben, wie der Staat uns vor, während und nach dem Gipfel mit Gewalt überzogen hat. Aber es hilft ja nicht, angesichts dessen den Kopf in den Sand zu stecken.

Pressegruppe der Roten Flora

Nach den G20-Protesten 2017 erklärten zahlreiche Politiker das autonome Zentrum »Rote Flora« im Hamburger Schanzenviertel zum »Rückzugsort für Terroristen« und fordern seither immer wieder dessen Schließung. Mit Kim und Konni von der Pressegruppe der Roten Flora, die ihre richtigen Namen nicht in der Zeitung sehen möchten, sprach Gaston Kirsche.

Wie sieht es drei Jahre nach den angeblich polizeifreien Stunden im Schanzenviertel aus?
Kim: Es wurde viel renoviert. Nach meinem Eindruck gibt es noch mehr Vergnügungsgastronomie und Massentourismus als vorher. Gleichzeitig sind wie am Hafen insbesondere rund um den Flora- und Schanzenpark vermehrt zivile und uniformierte Beamte unterwegs. Leider gewöhnen sich zu viele daran, statt dem aktiv etwas entgegenzusetzen.

Welche Konflikte sind jetzt im Schanzenviertel wichtig?
Konni: Die gleichen wie vorher. Die Mietpreisspirale zieht immer mehr an, sodass Mieter*innen vertrieben werden. Die Gewerbemieten sind sogar den Ketten zu teuer.

Warum gibt es so wenig Debatten zum G20-Protest?
Konni: Es gibt durchaus immer noch Debatten. Diese werden jedoch nicht in den sozialen Medien geführt. Die Ereignisse sind auch nach drei Jahren präsent.

In Debatten der radikalen Linken?
Konni: Der Protest gegen das Treffen der Eliten von Staaten und Konzernen war eine kollektive Praxis, auf die sich immer wieder bezogen wird, sowohl als positive wie auch als negative Erfahrung. Es spielt aber auch eine Rolle, dass die Ereignisse rund um den G20-Gipfel nicht selten als Vorwand genutzt werden, die staatliche Repression gegen Linke bundesweit zu verschärfen. Schon kurz nach dem Gipfel wurde unter dem Vorwand, man müsse auf gewaltsame Proteste reagieren, die Internetplattform linksunten.indymedia.org verboten. Erstmalig wurde da ein loses linkes Kollektiv vom Staat zu einem Verein erklärt, um einen Vorwand für das Verbot zu haben. Im Herbst 2017 wurde in Wurzen für eine angekündigte Antifa-Demo ein Szenario à la G 20 herbeifantasiert, um einen martialischen Auftritt der Staatsmacht in Gestalt von SEK-Einheiten zu gerechtfertigen. All das zeigt, dass die wiederholte Auseinandersetzung mit G20 in Hamburg unvermeidlich ist.

Mit den Inhalten des Protestes oder eher nur mit der Repression?
Kim: Wie gesagt, in aktuellen Debatten wird sich immer wieder auf den G20-Protest bezogen. Aber natürlich spielen aktuelle Themen wie die Seenotrettung und ihre Kriminalisierung, das Erstarken der AfD, ein zunehmend rechter politischer Diskurs in den Debatten, die rechten Terroranschläge in Halle und Hanau, rassistische Polizeigewalt, die Klimadebatte eine größere Rolle.

Wie seht ihr heute eure Kritik an »Militanz als Selbstzweck«, an »Mackergehabe und Unverantwortlichkeit«, die in Kauf nahmen, dass Menschenleben gefährdet wurden, etwa durch das Anzünden von Geschäften in Wohnhäusern?
Kim: Die Kritik an der Militanz als Selbstzweck ist nichts Neues aus der Flora. Bereits vor Jahren, als die Schanzenfeste immer mehr zum Ritual für Sauftouristen verkamen, wurde sich über diesen Ausdruck von Militanz in Veröffentlichungen kritisch geäußert. Wir lehnen Militanz, die Menschenleben gefährdet, ab. Allerdings gibt es über die Vorfälle im Schanzenviertel vor drei Jahren auch keine einheitliche »Flora-Meinung«. Dafür sind wir ein viel zu heterogener Haufen, und wir müssen eben auch mit internen Widersprüchen leben.

Auch mit einigen unfreundlichen Reaktionen auf Eure Kritik aus linken Gruppen?
Kim: Ja, das müssen wir aushalten. Einige glauben an die Morgenröte der Revolution, andere eben nicht. Wir nehmen aber Kritik durchaus ernst.

Gab es im Stadtteil Entsolidarisierung gegenüber der »Roten Flora«?
Konni: Das haben wir so nicht empfunden. Es gab zwei Wochen nach dem Gipfel eine große Stadtteilversammlung, auf der es zu 99 Prozent Kritik an Polizei, Politik und Polizeiführung hagelte. Viele stellten sich nahezu schützend vor die Flora. Aber natürlich gab es auch viele Hass-Mails und -Postings in den sozialen Medien voller reaktionärem Müll, aber wir denken, dass die größtenteils nicht aus dem Stadtteil kamen.

Wie ernst nehmt ihr die wiederholte Forderung nach Räumung der Flora wegen G20?
Konni: Das ist eher ein Law-and-Order-Ritual.

Angesichts des bevorstehenden Prozesses fast gegen den ganzen Demozug vom Rondenbarg habt ihr zur Solidarität aufgerufen. Plant ihr Veranstaltungen dazu?
Konni: In der Flora können alle möglichen linken Gruppen Veranstaltungen machen, und sicher wird es auch welche dazu geben. Wir unterstützen das natürlich politisch.

Wie schätzt ihr die Verhaftung von drei Leuten im Juli 2019 ein? Nimmt die Repression gegen die autonome Szene Hamburgs zu?
Kim: Die war immer da. Im Fall der »drei von der Parkbank« haben verdeckte Ermittler*innen auch nach acht Monaten illegaler Observation offenbar nichts herausgefunden. Da wundert es nicht, dass eine Art Vendetta durchgezogen wird. Aber es schockiert trotzdem, dass Leute, die nicht mal vorbestraft sind, einfach monatelang in U-Haft gehalten werden.

Konni: Das Ganze ist Willkür und zeigt abermals, wie scheiße dieses System ist. Umso wichtiger ist es, nicht aufzugeben und weiter für eine andere Gesellschaft zu kämpfen.

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