Das Empfinden des Anton Wilhelm Amo

Der erste afrikanische Philosoph in Deutschland lebte um 1700 in Halle.

  • Ulrike Wagener
  • Lesedauer: 3 Min.

Der Sklavenhandel beruhte auf der Entmenschlichung Schwarzer Menschen. Abwertende, diskriminierende Bezeichnungen für Schwarze Menschen spiegeln diese Entmenschlichung wider. In der Berliner M-Straße* laufen die Fäden zusammen, zumindest diskursiv. Seit 2014 begeht dort ein zivilgesellschaftliches Bündnis gegen Rassismus jedes Jahr am 23. August, dem »Internationalen Tag der Erinnerung an den Sklavenhandel und dessen Abschaffung«, ein Straßenumbenennungsfest; geht es nach ihnen, soll die Berliner M-Straße künftig Anton-Wilhelm-Amo-Straße heißen.

Anton Wilhelm Amo war einer jener Menschen, die von den Deutschen zu seiner Zeit als M-Wort bezeichnet wurden. Und er war der erste Philosoph und Rechtswissenschaftler afrikanischer Herkunft in Deutschland. Viel ist über Amo nicht bekannt, es gibt kein verifiziertes Porträt von ihm und nur bruchstückhafte Informationen über sein Leben. Geboren wurde er um 1700 an der westafrikanischen Küste nahe Axim, dem heutigen Ghana. Zu dieser Zeit unterhielt Brandenburg-Preußen die Kolonie Groß Friedrichsburg an der Goldküste, die damals unter europäischer Staaten stark umkämpft war. 1717 verkaufte der König Groß Friedrichsburg an die Niederländische Westindien-Compagnie, für 7200 Dukaten und 12 Afrikaner, genannt M-Wort - nur ein Beispiel dafür, wie sich auch Deutschland am Sklavenhandel beteiligte. Über die Niederlande gelangte dann auch Amo an den Hof von Herzog Anton Ulrich von Braunschweig-Wolfenbüttel. Es ist nicht geklärt, ob er, wie sein Bruder, als Sklave verschleppt wurde oder ob er für eine christliche Ausbildung nach Europa geschickt wurde. Anders als andere Hof-M-Wort wurde er vom Herzog gefördert. Er studierte Philosophie und Rechtswissenschaften an der Universität Halle. Und sprach 1929 in einer Disputation »Über die Rechtsstellung der M***** in Europa« unter dem Vorsitz seines Lehrers Johannes Ludewigs über das Recht der von Christen gekauften M-Wort in Bezug auf ihre Freiheit beziehungsweise Dienstbarkeit. In seiner Dissertation, die er 1734 an der Universität Wittenberg verteidigte, trug er zur Diskussion des Leib-Seele-Problems der damaligen Zeit bei. Er befand: »Wir gestehen zu, dass die Seele mit dem Körper vermittels gegenseitiger Vereinigung handelt, aber wir verleugnen, dass sie mit dem Körper zusammen leidet.« Mitte des 18. Jahrhunderts kehrte Amo nach Ghana zurück, vermutlich mittels einer holländischen Sklavenhandelsgesellschaft. Vielleicht, weil einige seiner Freunde und Mentoren verstorben waren, vielleicht aufgrund des zunehmenden Rassismus und einer Spottkampagne gegen ihn anlässlich eines Heiratsantrags. In Ghana verliert sich seine Spur.

In Deutschland wurde seine Geschichte, wie es der Künstler Bernard Akoi-Jackson in der aktuellen Ausstellung zu Amo im Kunstverein Braunschweig schreibt, in großes Schweigen gehüllt. Außer einer Statue, die 1964 in Halle aufgestellt wurde, gibt es kaum eine öffentliche Auseinandersetzung mit seiner Arbeit. Mit der Verankerung seines Andenken im Straßenbild könnte dieses Schweigen gebrochen werden. Und damit auch jenes über die frühen kolonialen Bestrebungen Preußens und seiner Verstrickungen in den Sklavenhandel. Mnyaka Sururu Mboro, Mitbegründer von Berlin Postkolonial, sagt: »Wir brauchen die Erinnerung an das, was geschehen ist. Daher kommt es darauf an, nun diejenigen zu ehren, die Widerstand geleistet und sich selbst behauptet haben.« Amo wäre ein guter Anfang.

*Um auf die Wiederholung diskriminierender Sprache zu verzichten, ist in diesem Text nur von M-Straße und M-Wort die Rede.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!