- Politik
- Walter Grenzebach
Der Mann mit der Latzhose
Jahrzehntelang brachte Walter Grenzebach das »nd« unter die Leute. Jetzt ist er gestorben
Die Jüngeren beim »nd« kennen ihn kaum noch, die Älteren dafür umso besser. Walter Grenzebach gehörte so sehr zu dieser Zeitung und ihrer Geschichte, dass man ihn fast schon zum Inventar zählen konnte. Der große, hagere Mann mit der unvermeidlichen roten Latzhose begleitete das Blatt seit 1967, als er im Verlag begann, sich um Anzeigen und Werbung zu kümmern. Mitgebracht hatte der gelernte Werbegrafiker neben einer akkuraten, gestochenen Handschrift (erlernt bei der Werbefirma Dewag; ja, so etwas gab es in der DDR) eine geradezu hemmungslose Offenheit, wildfremde Menschen ins Gespräch zu verwickeln - und dabei auch oft genug um den Finger zu wickeln.
Walter war ein Mann des Wortes und der Tat. Er redete viel, missionierte gern auch mal und flocht so beiläufig Goethe-Zitate ein, dass man meinen konnte, er kenne den gesamten »Faust« auswendig. Aber er organisierte auch gern, wollte unterwegs sein - zu den Leserinnen und Lesern. In den 90ern kümmerte er sich mit um die nd-Öffentlichkeitsarbeit, auch später als Rentner noch - unbeeindruckt von Internet und sozialen Medien. Er kam aus einer anderen Welt: aus der Welt der Handzettel, der Plakate, der mündlichen Agitation. Er war ein Werbemann der alten Schule. Öffentlichkeitsarbeit hieß für ihn, ohne Umweg und ohne Umschweife auf Menschen zuzugehen. Manche Besucher kamen zur nd-Wanderung oder anderen Ereignissen ausdrücklich auch, um ihn zu erleben.
Er hat darunter gelitten, dass sein Land untergegangen ist. Was ihm Halt gab: dass immerhin seine Zeitung geblieben war, auch wenn ihm längst nicht alles gefiel, was die jüngeren Redakteurinnen und Redakteure da fabrizieren. Oft, wenn er etwa nd-Ausgaben bei einem Treffen von Stipendiaten der Rosa-Luxemburg-Stiftung verteilt hatte, streifte er abends durch die Redaktionsräume, rief den Spätdiensten aufmunternd zu: »Die Jugend giert nach Informationen!« - und brachte ein paar Delikatessen vom Stiftungs-Catering mit. Verbunden mit dem Hinweis: »Nichtnehmen ist auch eine Form von Faulheit.«
Zu Hochform lief er auf, als in den 90ern der CDU-Pfarrer Peter Hintze die Rote-Socken-Kampagne ausrief, um die PDS kleinzuhalten. Da hatte Hintze nicht mit Walter Grenzebach gerechnet: Der aktivierte sofort nd-Leserinnen, unzählige kleine und große rote Socken zu stricken, zum Anstecken und Anziehen, die sich bestens verkauften. Ein Marketingcoup mit Langzeitwirkung. Er konnte so etwas organisieren, weil er, wie er gern behauptete, jedem nd-Leser schon mal die Hand geschüttelt hatte, was wohl nur wenig übertrieben war.
Zuletzt ging es Walter nicht gut. Wir haben ihn schon lange nicht mehr gesehen im nd-Gebäude, wo er in einem Kellerraum lange Zeit alle möglichen DDR-Devotionalien gehortet hatte, denn solche Dinge wegzuwerfen, war für ihn ganz und gar unmöglich. Seit ein paar Monaten lebte er, der Welt immer mehr abgewandt, in einem Seniorenheim in Berlin-Friedrichshain. Am 9. Juli ist der Mann mit dem Rauschebart und der roten Latzhose im Alter von 77 Jahren gestorben.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.