Rückschlag für die Gleichstellung

Das Thüringer Verfassungsgericht hat das von Rot-Rot-Grün reformierte Landeswahlgesetz für nichtig erklärt

Mit dem Urteil des Thüringer Verfassungsgerichtshofs war zu rechnen. Die Enttäuschung darüber in Linkspartei, SPD und bei den Grünen groß. Das Erfurter Regierungsbündnis hatte im vergangenen Jahr per Änderung des Landeswahlgesetzes eine paritätische Besetzung der Kandidat*innenlisten aller Parteien mit Frauen und Männern zu Landtagswahlen beschlossen. Es sollte das sogenannte Reißverschlussprinzip gelten, also eine abwechselnde Besetzung der Listenplätze, das den Geschlechtern gleiche Chancen auf ein Mandat bieten würde.

Genau das hat das Gericht in Weimar am Mittwoch für verfassungswidrig und damit für nichtig erklärt. Das Paritätsgesetz beeinträchtige »das Recht auf Freiheit und Gleichheit der Wahl« nach Artikel 46 Absatz 1 der Landesverfassung und das »Recht der politischen Parteien auf Betätigungsfreiheit, Programmfreiheit und Chancengleichheit« nach Artikel 21 Absatz 1 des Grundgesetzes. Diese Rechte erstreckten sich auch auf »wahlvorbereitende Akte wie die Aufstellung von Listenkandidaten«, heißt es in der Urteilsbegründung. Die Mitglieder der Parteien hätten mit dem Gesetz nicht mehr die Freiheit, »Kandidaten für Landeslisten unabhängig von deren Geschlecht zu wählen und sich selbst für jeden Listenplatz zu bewerben«, schreiben die Richter weiter. Parteien müssten sich bewusst für oder gegen eine Quotierung entscheiden können.

Die Richter betonen zugleich, Eingriffe in das Landeswahlgesetz könnten berechtigt sein, wenn damit die »Wahl als Integrationsvorgang bei der politischen Willensbildung« gesichert werden solle. Dieses Prinzip ziele aber auf die »Integration politischer Kräfte, jedoch nicht auf eine Integration von Frauen und Männern als Geschlechtergruppen«, so das Gericht. Das Urteil erging mit sechs zu drei Stimmen der Kammer. Die Senatsmitglieder Elke Heßelmann, Renate Licht und Jens Petermann gaben Sondervoten ab, in denen sie das Landeswahlgesetz für verfassungskonform erklären.

Die Linke-Fraktionschefin im Thüringer Landtag, Susanne Hennig-Wellsow, bezeichnete das Urteil als »Niederlage für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen in Politik und Parlamenten«. »Nichtsdestotrotz bleiben wir dabei und lassen nicht locker: Es ist eine Frage der Gerechtigkeit, dass Frauen auch in politischen Entscheidungsbereichen gleichberechtigt vertreten sind«, erklärte Hennig-Wellsow am Mittwoch in Erfurt. Nun werde sich der Verfassungsausschuss des Landtags mit der Frage der Quotenregelung befassen, kündigte sie an und zeigte sich überzeugt, dass Parität »keinesfalls eine Einschränkung von Demokratie« bedeutet.

Gegen das Gesetz hatte die Thüringer AfD-Landtagsfraktion geklagt. Ziel der Gesetzesnovelle war es, den Anteil von Frauen im Parlament perspektivisch zu erhöhen. Erstmals hätte diese Regelung bei der im April 2020 anstehenden Landtagswahl gegolten. Sie kann nach der Gerichtsentscheidung nun keine Anwendung mehr finden.

Der emeritierte Düsseldorfer Rechtswissenschaftler Martin Morlok hält das Urteil für wenig überraschend. Er rechne damit, dass damit die Bestrebungen in mehreren Bundesländern und auf Bundesebene, ähnliche Regelungen einzuführen, gedämpft werden. Es müsse jetzt vorrangig geprüft werden, ob es andere Hebel gebe, um mehr Frauen in die Politik zu bringen, sagte Morlok der Deutschen Presseagentur. Mit Blick auf das Paritätsgesetz in Brandenburg wies Morlok darauf hin, dass es hier, anders als in Thüringen, zumindest Ausnahmeregelungen gebe.

Gegenwärtig wird in keinem deutschen Parlament Geschlechterparität erreicht. Am höchsten ist der Frauenanteil derzeit mit fast 44 Prozent in der Hamburger Bürgerschaft, Schlusslicht ist Sachsen-Anhalt mit nur 22 Prozent weiblichen Abgeordneten.

In den deutschen Länderparlamenten sind teils deutlich mehr Männer als Frauen vertreten. Spitzenreiter bei Mandaten von Frauen ist Hamburg. Dort sind 43,9 Prozent der Abgeordneten weiblich, wie eine Übersicht der Landeszentrale für politische Bildung in Baden-Württemberg zeigt. In Sachsen-Anhalt - dem Schlusslicht - sind dagegen nur 21,8 Prozent der Abgeordneten Frauen.

Die Linke-Bundestagsabgeordnete Cornelia Möhring ist der Ansicht, dass sich das Urteil von Weimar »in der zentralen Argumentation ausschließlich auf Thüringen bezieht«. Daher werde es keine Relevanz auf Bundesebene entfalten, erklärte die stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag. Auch SPD-Fraktionsvize Katja Mast verteidigte das Ziel einer vergleichbaren Paritätsregelung für Bundestagswahlen. Mehrere Politikerinnen verwiesen darauf, dass in Frankreich bereits seit 20 Jahren ein Paritätsgesetz gibt.

Cornelia Möhring sagte gegenüber »nd« , ein Gruppenantrag von Linkspartei und Grünen zur Einsetzung einer Kommission, die einen Vorschlag für eine Paritätsregelung auf Bundesebene erarbeitet, werde Anfang September im Ausschuss für Frauen und Familie zur Diskussion gestellt. Damit solle der Großen Koalition die Chance gegeben werden, sich hier einzubringen. Wenn der Vorschlag auf Ablehnung stößt, überlegt Möhring, einen Gesetzentwurf für ein Paritätsgesetz, den sie bereits vor eineinhalb Jahren in Zusammenarbeit mit Juristen erarbeitet hat, in den Bundestag einzubringen, möglichst ebenfalls zusammen mit den Grünen. Dieser sieht nicht nur Geschlechterparität auf Kandidatenlisten, sondern auch die Besetzung von Wahlkreisen mit Duos vor.

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