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  • Privatisierung der Gesundheitsversorgung

Das »Krankenhaus-Monopoly« greiser Patriarchen

Statt einer bedarfsgerechten Gesundheitsversorgung für alle geht es um die finanzielle Luxusversorgung von Eigentümern und Aktionären

  • Harald Weinberg
  • Lesedauer: 8 Min.

Wozu sind Krankenhäuser da? Dazu hat die große Mehrheit der Menschen in diesem Lande eine klare Meinung: Krankenhäuser sind Einrichtungen der öffentlichen Gesundheitsversorgung und damit ein zentraler Stützpfeiler der öffentlichen Daseinsvorsorge. In einer aktuellen Forsa-Umfrage antworteten auf die Frage, ob sie bei Krankenhäusern Patientenversorgung oder Wirtschaftlichkeit für wichtiger halten, 96 Prozent mit der Patientenversorgung.

Die enorme Bedeutung der Krankenhäuser wurde in der Corona-Pandemie offenbar und deshalb bekamen sie das Etikett »besonders systemrelevanter Bereich« umgehängt. Aber kurz bevor die Pandemie ausbrach, erschienen mehrere Studien, die einem weitergehenden Strukturwandel in der Krankenhauslandschaft das Wort redeten. Mit einer Konzentration auf größere und leistungsfähigere Kliniken könne man ohne Versorgungseinbußen auf Hunderte Krankenhäuser verzichten, so deren Hauptaussage.

Harald Weinberg

Der Linke-Politiker sitzt seit 2009 im Bundestag. Unter anderem war der 1957 geborene Gesellschaftswissenschaftler gewerkschaftlich tätig. Politisch aktiv ist er seit seiner Schulzeit. Seinen Zivildienst absolvierte er in einem Bonner Krankenhaus.

Weinberg ist heute Sprecher für Krankenhauspolitik der Fraktion Die Linke im Bundestag und stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses für Gesundheit. Dabei setzt er sich für eine bestmögliche Gesundheitsversorgung für alle ein, unabhängig vom Geldbeutel.

Nun muss man wissen, dass der Strukturwandel der vergangenen Jahre bereits zu dem Ergebnis geführt hat, dass mehr als jedes dritte Krankenhaus in privatem Besitz ist (37 Prozent). Seit der Wiedervereinigung hat sich dieser Anteil mehr als verdoppelt (1991: 15 Prozent, siehe Grafik). Während in den 1990er Jahren vor allem kleinere Krankenhäuser in Ostdeutschland privatisiert wurden, machte die Einführung der diagnoseorientierten Fallpauschalen unter Rot-Grün Anfang der 2000er Jahre auch das Betreiben größerer Krankenhäuser für die Privaten lukrativ. Zwischen 2002 und 2017 verdoppelte sich der Anteil der Betten in privat(isiert)en Krankenhäusern von 8,9 Prozent 2002 auf 18,7 Prozent 2017.

Den privatisierten »Markt« teilen sich insbesondere vier große Konzerne: Fresenius/Helios SE, Asklepios Kliniken GmbH, Röhn AG und Sana AG. Sana wurde zu Beginn der 1970er Jahre als »Verein zur Planung und Förderung privater Krankenhäuser e. V.« von 18 Privaten Krankenversicherungen gegründet. Angesichts der zu dieser Zeit breit geführten sozialpolitischen Debatte um das »klassenlose Krankenhaus« wollten die privaten Krankenversicherer einen ideologischen und praktischen Gegenpol dazu schaffen. Sie sahen ihr Geschäftsmodell gefährdet, denn im »klassenlosen Krankenhaus« hätte es keine Privilegien für Privatpatienten gegeben. Aber aus dem großen Krankenhaus-Monopoly - dem mit harten Bandagen geführten Kampf um Konzentration und Zentralisation innerhalb des privatisierten Krankenhausmarkts - halten sich die Münchener Sana-Leute vornehm heraus.

Dafür treiben es die anderen drei Konzerne umso toller. Es geht um nicht weniger als die Vorherrschaft auf dem »Markt der Privatkliniken« in Deutschland. Und damit natürlich auch darum, wer in den kommenden Privatisierungsrunden in Deutschland und Europa mit seinem Finanzpotenzial in der Pole Position steht.

Dreh- und Angelpunkt ist dabei die Vorherrschaft in der Rhön AG. Gleichzeitig erweckt das Ganze den Eindruck einer Privatfehde einiger Unternehmenspatriarchen. Neben Eugen Münch (75 Jahre und Gründer sowie aktueller Vorsitzender des Aufsichtsrats der Rhön AG) und seinem direkten Gegenspieler Dr. Bernhard gr. Broermann (76 Jahre und Gründer sowie Alleineigentümer der Asklepios Kliniken GmbH) spielt auch noch Ludwig G. Braun (76 Jahre und graue Eminenz beim Medizintechnik-Konzern B.Braun Melsungen AG) eine tragende Rolle.

2012 versuchte Münch, den Zusammenschluss von Rhön AG und Fresenius/Helios zu einem Krankenhausgiganten zu bewerkstelligen. Gr. Broermann und Braun setzten alles daran, dieses Vorhaben zu vereiteln. Dazu kauften sie zu den Aktienpaketen der Rhön AG, die sie bereits hatten, weitere Anteile hinzu und verhinderten so, dass Fresenius/Helios die für eine Übernahme erforderliche Mehrheit von 90 Prozent erreichen konnte.

Danach versuchte Fresenius/Helios mit einer einfachen Aktienmehrheit die strategische Führung im Rhön-Konzern zu übernehmen und sämtliche Kapitalvertreter im Aufsichtsrat durch eigene Leute zu ersetzen. Diesen Plan durchkreuzten die Anwälte von Asklepios ein weiteres Mal.

Der Rhön-Patriarch Münch verfolgte seine Pläne jedoch beharrlich weiter, unter anderem, indem er über die Wirtschaftskanzlei Peter Gauweilers (CSU) eine Anzeige gegen gr. Broermann betrieb - wegen Marktmanipulation und Nötigung. Die Ermittlungen wurden allerdings bereits nach kurzer Zeit eingestellt.

Letztlich gelang Fresenius/Helios aber doch noch ein Deal mit Rhön, der sie zum größten Klinikkonzern in Europa machte. Im September 2013 gaben die beiden Konzerne bekannt, dass Helios den Großteil der Rhön-Krankenhäuser aufkauft (40 Kliniken und 17 Medizinische Versorgungszentren). So erklären sich auch die 1,3 Milliarden Euro Gewinn des Rhön-Konzerns 2014.

2020 wechselte Münch seine Strategie und machte nun einen Deal mit dem ehemaligen Widersacher gr. Broermann (Pack schlägt sich, Pack verträgt sich): Beide poolten ihre Aktienbestände an Rhön AG und Asklepios kaufte weitere hinzu. Bald hielten sie deutlich mehr als 50 Prozent der Aktien. Am 8. April 2020 legte Asklepios ein formelles Übernahmeangebot vor.

Das rief Braun auf den Plan, der dagegen mit etlichen - erneut von gut dotierten Anwaltskanzleien entwickelten - Anträgen zur Hauptversammlung vorging. Diese reichen von der Ablösung des Vorsitzenden des Aufsichtsrats als Versammlungsleiter über Satzungsänderungen, die die erforderlichen Mehrheiten für eine Übernahme betreffen, bis hin zu einer Sonderausschüttung an die Aktionäre, um dem Konzern auf diese Weise Liquidität zu entziehen. Auf einer außerordentlichen Hauptversammlung am 3. Juni 2020, die wegen der Pandemie virtuell durchgeführt wurde, scheiterten alle diese Versuche. Daraufhin gab Braun den Machtkampf auf und verkaufte seine Anteile. Gr. Boermann und Münch besitzen zusammen nun über 92 Prozent der Rhön-Aktien. Bei der ordentlichen Rhön-Hauptversammlung am 19. August werden sie damit die Übernahme beschließen.

Beim Krankenhaus-Monopoly geht es nicht um hochwertige und bedarfsgerechte Gesundheitsversorgung der Bevölkerung. Vielmehr geht es um eine (finanzielle) Luxusversorgung von Eigentümern und Aktionären, sowie Kanzleien und Beratungsunternehmen. Bei letzteren ist die Rede von Honoraren in siebenstelliger Höhe.

Zu den ersten Verlierern in diesem perfiden Spiel gehören die verunsicherten Beschäftigten in den Krankenhäusern dieser Konzerne. Ihre Sorgen vor einer weiteren Verschlechterung der Arbeitsbedingungen sind leider mehr als berechtigt. Zu den nicht ganz so leicht erkennbaren Verlierern gehört die Gemeinschaft der gesetzlich Krankenversicherten, die mit ihren Beiträgen diesen ganzen Irrsinn finanziert (Und ja, ich weiß, dass es auch Arbeitgeberbeiträge gibt. Beide Beitragsanteile werden aus der Lohnsumme eines Unternehmens finanziert, die durch die Wertschöpfung der Arbeitnehmer befüllt wird). Zugespitzt, aber dennoch treffend kann man das Geschäftsmodell dieser Klinikkonzerne als Ausplünderung eines wesentlichen Teils der Sozialkassen Deutschlands bezeichnen.

Und zu nennen sind ganz prominent dann noch die politisch Verantwortlichen, also jene Regierungen, Koalitionen und Abgeordnete, von denen die Gesetze, die eine solche Kommerzialisierung ermöglicht haben, entwickelt und verabschiedet wurden:

1984 unter Kanzler Kohl (schwarz-gelbe Koalition): Festschreibung der »Trägervielfalt« und Festlegung des Leitbilds eines »eigenverantwortlich wirtschaftenden Krankenhauses« im Krankenhausfinanzierungsgesetz, wodurch die privaten Träger, die bis dahin nur in Form von Stiftungskrankenhäusern eine geringe Rolle spielten, in den Genuss von staatlicher Förderung kamen. Der »Markt« der Krankenhäuser wurde dadurch für anlagesuchendes Kapital geöffnet.

1993 ebenfalls noch unter Kanzler Kohl (schwarz-gelbe Koalition) wurde mit dem Gesundheitsstrukturgesetz den Krankenhäusern ermöglicht, uneingeschränkt Gewinne und Verluste zu machen und Gewinne an Anteilseignern auszuschütten. Dies war ein wesentlicher Turbo für eine Privatisierungswelle. Manche sprachen hier auch von einer »Lex Rhön«.

2004 unter Kanzler Schröder (rot-grüne Koalition) erfolgte dann die Einführung der diagnoseorientierten Fallpauschalen (DRGs) zur Betriebskostenfinanzierung der Krankenhäuser. Dieses Festpreissystem hat die Marktsteuerung im Krankenhaussektor geradezu beflügelt. Dieses System ermöglichte es den privaten Klinikkonzernen durch Konzentration auf besonders lukrative Fallpauschalen und striktem Kostenreduzierungskurs satte Gewinne zu erwirtschaften.

Der Umbau des Krankenhaussektors zu einem »Markt«, der dann den hier geschilderten Irrsinn hervorbringt, ist nicht vom Himmel gefallen. Dieser Umbau ist bewusst politisch herbeigeführt worden. Er kann und muss auch politisch wieder zurückgenommen werden.

Wer unter dem Tarnbegriff »Strukturwandel« den Abbau von Betten sowie die Schließung und Konzentration von Krankenhäusern nach »Marktgesetzen« fordert, ist entweder ein Agent oder ein nützlicher Idiot der privaten Krankenhausindustrie - und davon gibt es nach wie vor nicht zu wenige. Gerade die Corona-Krise hat offenbart, wie wichtig der stationäre Sektor als Bestandteil der öffentlichen Gesundheitsversorgung ist.

Die politische Konsequenz muss sein, das Öffentliche in der Gesundheitsversorgung zu stärken und das Private zu schwächen. Erste wichtige Schritte dafür sind die Ersetzung der Fallpauschalen durch eine kostendeckende Finanzierung und ein gesetzliches Verbot der Gewinnausschüttung in Krankenhäusern. In Teilen der SPD, der Grünen und auch der CSU ist ein solches Umdenken zu beobachten und wird durch die Corona-Krise hoffentlich noch einmal verstärkt. Im aktuellen Entwurf für ihr neues Grundsatzprogramm wenden sich die Grünen gegen weitere Privatisierungen und die Kommerzialisierung im Gesundheitssystem. In der SPD nehmen auf kommunal- und landespolitischen Ebenen die Forderungen nach Rekommunalisierung privatisierter Krankenhäuser zu. Und die CSU ist bei einem Anteil von 60 Prozent öffentlicher Krankenhäuser in Bayern ohnehin keine allzu große Freundin der Privaten und der Fallpauschalen.

In den Koalitionsverhandlungen 2018 setzen SPD und CSU die Herausnahme der Pflegepersonalkosten aus den Fallpauschalen gegen die CDU durch - nicht zuletzt, weil immer mehr Krankenhausbeschäftigte gegen Personalmangel, Überlastung und Lohndumping kämpfen und streiken. Seit dem 1. Januar 2020 erhalten Krankenhäuser die tatsächlichen Kosten für das Pflegepersonal (am Bett) erstattet. Die diagnoseorientierten Fallpauschalen und ihre Verteidiger wurden damit empfindlich geschwächt, nach der Veröffentlichung des Koalitionsvertrages war in ihren Reihen von einem »Meteoriteneinschlag« die Rede. Im Bundestagswahlkampf 2021 werden Krankenhäuser und Gesundheitsversorgung eine wichtige Rolle spielen. Wenn der politische, zivilgesellschaftliche und gewerkschaftliche Druck weiter zunimmt, steigt auch die Wahrscheinlichkeit weiterer Meteoriteneinschläge.

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