Prozess in der Landgerichts-Bibliothek

Schwierige Suche nach dem passenden Saal: Die Verhandlung gegen Stephan B. findet in Magdeburg statt und stößt auf großes internationales Medieninteresse

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 3 Min.

In den vier Land- und 25 Amtsgerichten sowie beim Oberlandesgericht (OLG) Sachsen-Anhalts gibt es viele Säle. Doch eine Räumlichkeit, wie sie für das Verfahren gegen den Attentäter von Halle benötigt wird, war schwer zu finden. Sie muss so groß sein, dass auch in Zeiten von Corona eine Vielzahl Verfahrensbeteiligter, Zuschauer und Pressevertreter Platz finden - und höchsten Sicherheitsanforderungen genügen.

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Unter diesen Prämissen ist die Auswahl an Gerichtssälen im Land dann doch eher klein. Zeitweise waren daher unorthodoxe Lösungen im Gespräch. Landespolitiker hatten vorgeschlagen, den Prozess im Plenarsaal des Magdeburger Landtags durchzuführen. Die Idee wurde dann doch verworfen: zu hoch der Aufwand für Umbauten; zu groß die Wahrscheinlichkeit, dass Sitzungstermine von Gericht und Parlament kollidieren.

Schließlich wurde man doch fündig: in der ehemaligen Bibliothek des Landgerichts Magdeburg. Dort verhandelt nun ab diesem Dienstag der 1. Strafsenat des OLG gegen den Rechtsterroristen Stephan B. Der rund 400 Quadratmeter große Saal werde den Sicherheitsanforderungen ebenso gerecht wie den gesundheitlichen Belangen der Beteiligten, erklärte die Vorsitzende Richterin Ursula Mertens. In einer Sicherheitsverfügung ordnete sie strenge Einlasskontrollen ebenso an wie das Tragen von Mundschutz für die meisten Prozessteilnehmer. Ausweise der Anwesenden sollen kopiert werden - was zur »Identifizierung etwaiger Störer« ebenso dient wie zur »Feststellung möglicher Infektionsketten«.

Mertens ging in der Verfügung indirekt auch noch einmal auf die Debatte um den Saal ein. Diese war im Juni nach Beginn des Prozesses gegen den mutmaßlichen Mörder des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke in Frankfurt (Main) verstärkt aufgeflammt. Zu dessen Beginn hatten Journalisten stundenlang Schlange gestanden, um einen der wenigen Plätze im Saal zu erhalten. Auch in Sachsen-Anhalt sorgte man sich, dass die Öffentlichkeit bei dem höchst brisanten, international stark beachteten Halle-Prozess nicht angemessen vertreten sein könnte.

Mertens betonte aber, ein anderer, größerer Saal stehe nicht zur Verfügung. Alternative Lösungen hätten einen »erheblich gesteigerten Überwachungsaufwand« und eine »erhebliche Erhöhung der Gefährdungslage« bedeutet. Sowohl die Art des Attentats selbst als auch der Fluchtversuch des Angeklagten aus der Justizvollzugsanstalt (JVA) Halle am Pfingstsamstag weisen den Angeklagten als höchst gefährlich aus. Mit Letzterem begründet das Gericht, dass der jetzt in der knapp 30 Kilometer vom Magdeburger Gericht entfernten JVA Burg inhaftierte Stephan B. an Händen und Füßen gefesselt vorgeführt wird und die Fußfesseln während der Verhandlung auch nicht abgenommen werden.

Der Prozess, für den bis Mitte Oktober zunächst 18 Verhandlungstage angesetzt sind, ist in der Justizgeschichte des Landes ohne Beispiel. Die Zahl der Beteiligten ist hoch: Neben Richtern, dem Angeklagten mit seinem Verteidiger und Vertretern der Bundesanwaltschaft als Ankläger sind rund 40 Nebenkläger mit ihren Anwälten angekündigt, darunter Vertreter der Jüdischen Gemeinde Halle und Angehörige der beiden Todesopfer. Dazu kommen Dolmetscher und Sachverständige. In dem Saal sind zudem 50 Plätze für Zuschauer und 44 für Journalisten reserviert.

Das mediale Interesse ist auch außerhalb Sachsen-Anhalts enorm. Angemeldet haben sich Berichterstatter von Zeitungen wie »New York Times« und »Israel Hayom«, dem niederländischen Blatt »De Telegraaf« und dem Schweizer Radio und Fernsehen, dazu die Korrespondenten zahlreicher deutscher Medien wie »FAZ«, »Süddeutsche Zeitung« bis hin zur »Jüdischen Allgemeinen« und dem Hamburger Magazin »Konkret«.

Neben den 44 Journalisten, die bei einer Verlosung einen Platz im Saal erhalten haben und zu denen auch der »nd«-Berichterstatter gehört, können 29 weitere Medienvertreter immerhin in einem Nebenraum eine Tonübertragung verfolgen - und den bisher spektakulärsten Prozess in Sachsen-Anhalt gewissermaßen als Hörspiel verfolgen.

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