Scheingeschäfte mit Folgen für den Fiskus
Die Wirecard-Pleite kann den Staat noch teuer zu stehen kommen
Der Wirecard-Krimi »zieht sich wie ein Kaugummi«, beklagte am Dienstag Fabio De Masi, stellvertretender Vorsitzender der Bundestagsfraktion der Linkspartei. Da hatte die jüngste Volte in Berlin noch nicht einmal die Runde gemacht: Der mutmaßliche Betrugsskandal beim mittlerweile insolventen Dax-Konzern Wirecard kann die Staatskasse noch viel Geld kosten. Grund sind mögliche Steuerrückforderungen in Millionenhöhe.
Da der Wirecard-Vorstand mit dem flüchtigen Jan Marsalek die Bilanzen sehr wahrscheinlich mit erdichteten Umsätzen und Gewinnen aufgebläht hatte, zahlte das Münchner Unternehmen wohl zu hohe Steuern. Das dürfte bald den Insolvenzverwalter auf den Plan rufen. Der vom Münchner Amtsgericht eingesetzte vorläufige Insolvenzverwalter Michael Jaffé ist noch mit der Bestandsaufnahme beschäftigt und nahm zu seinen Plänen bislang keine Stellung. Doch haben Insolvenzverwalter die Pflicht, die noch vorhandene Vermögensmasse zu wahren und nach Möglichkeit zu mehren, damit die Gläubiger so viel wie möglich von ihrem Geld wiedersehen. Steuerrechtsexperten verweisen auf Paragraf 41 der Abgabenordnung: »Scheingeschäfte und Scheinhandlungen sind für die Besteuerung unerheblich.«
Laut Marc d’Avoine vom Verband der Insolvenzverwalter Deutschlands (VID) werden nicht existierende Gewinne und Umsätze auch nicht besteuert. »Bei Scheingewinnen stellt sich die Frage, ob nicht die Jahresabschlüsse wegen offenkundig falscher Zahlen und nachfolgend die Steuererklärungen und Steuerbescheide auch ohne Vorbehalt der Nachprüfung zu korrigieren sind«, zitiert die Nachrichtenagentur dpa d’Avoine. Die Antwort sei eindeutig: Aufgabe der Insolvenzverwalter sei es, Scheingewinne zu korrigieren.
Bei Wirecard geht es um nennenswerte Summen: Der Konzern hat ausweislich seiner Bilanzen von 2015 bis 2018 über 150 Millionen Euro allein an Ertragsteuern für Gewinne gezahlt. Dazu kommt die Umsatzsteuer, umgangssprachlich Mehrwertsteuer genannt. Sie wird in den Gewinn- und Verlustrechnungen von Aktiengesellschaften nicht gesondert ausgewiesen.
Bei Firmenpleiten seien Diskussionen mit den Finanzämtern an der Tagesordnung, heißt es beim VID beruhigend. Manchmal komme es zu Klagen, häufig verständigten sich Insolvenzverwalter und Finanzamt aber einvernehmlich. Weniger ruhig als Bundsfinanzminister Olaf Scholz (SPD) dürfte daher der langjährige Wirecard-Chef Markus Braun schlafen. Ihm droht möglicherweise infolge falscher Steuererklärungen ein Strafverfahren wegen Insolvenzverschleppung. Eine Verurteilung könnte eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren zur Folge haben.
Unternehmenssteuern unterliegen dem Steuergeheimnis, weswegen sich das bayerische Finanzministerium zum konkreten Einzelfall Wirecard nicht äußert. Eventuell zu viel gesagt hat dagegen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Auf einer China-Reise im September 2019 warb sie bei den Gastgebern für Wirecard. Von Ungereimtheiten beim Finanzdienstleister habe Merkel damals allerdings nichts gewusst, versicherte eine Regierungssprecherin.
Nach jüngsten Medienberichten soll das Finanzministerium das Bundeskanzleramt jedoch bereits zwei Wochen vor Reiseantritt darüber informiert haben, dass Wirecard und seine österreichischen Vorstände in den Fokus von Ermittlungen diverser Aufsichtsbehörden geraten waren. Das Ministerium von Olaf Scholz wiederum dürfte bereits seit Februar 2019 über Sonderermittlungen der Bankenaufsicht Bafin Bescheid gewusst haben.
Der börsennotierte Zahlungsabwickler galt allerdings noch bis Mitte Juni dieses Jahres vielen als schillernder Shootingstar der deutschen Wirtschaft, der es mit den US-amerikanischen Internetgiganten durchaus aufnehmen könne. Linksparteipolitiker De Masi will nun das Bundeskanzleramt zur Sondersitzung des Finanzausschusses am kommenden Mittwoch hinzuziehen, bei der es um Ungereimtheiten im Finanzministerium gehen soll. »Es ist die alleinige Verantwortung der Bundesregierung, dass sich der Wirecard-Skandal«, sagte De Masi. Sollte nach der Ausschusssitzung noch keine Klarheit herrschen, will die Opposition einen Untersuchungsausschuss beantragen.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.