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Tödlicher Hass auf Juden und »Fremde«
In Magdeburg begann der Prozess gegen den Attentäter von Halle mit Äußerungen des Angeklagten
Zum Auftakt des Prozesses gegen den Attentäter von Halle ist der Angeklagte am Dienstag zu seinen Motiven und zum Tatablauf befragt worden. Er offenbarte dabei ein erschütterndes Ausmaß an Rassismus und Menschenfeindlichkeit und gab vor allem Antisemitismus als Motiv für seinen Anschlag auf die voll besetzte Synagoge von Halle am 9. Oktober 2019 an. Juden seien »die Hauptursache für den weißen Genozid« und hätten die Zuwanderung im Jahr 2015 organisiert, sagte Stephan B. Diese sei für ihn der Auslöser gewesen, sich zu bewaffnen. Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden, nannte es anlässlich des Prozessbeginns »unvorstellbar grausam, welchen Judenhass Stephan B. verbreitet hat«. Er müsse »mit aller Härte des Gesetzes bestraft werden«, forderte Schuster.
Zu Beginn des ersten Prozesstags in dem Verfahren, das vom Oberlandesgericht (OLG) Sachsen-Anhalt in einem Saal am Landgericht Magdeburg geführt wird und zu dem 43 Nebenkläger mit 21 Anwälten zugelassen sind, hatte sich der Angeklagte zu Aussagen bereit erklärt. Auf Fragen der Vorsitzenden Richterin Ursula Mertens zu seinen persönlichen Lebensumständen ging er aber nur sehr widerwillig ein. Die hätten »nichts mit der Tat zu tun«, sagte er in herrischem Ton.
Zugleich stellte er sich als Kämpfer gegen eine »Eroberung« Europas durch Menschen aus anderen Kulturkreisen dar. Mit dem live im Internet übertragenen Überfall habe er potenzielle Nachahmer zu ähnlichen Taten anstacheln und »anderen zeigen wollen, dass sie nicht allein sind«, erklärte B. Über Muslime und Menschen afrikanischer Herkunft äußerte er sich in äußerst abfälligem Ton. Mertens drohte daher, ihn von der Verhandlung auszuschließen: »Ich dulde so etwas nicht.«
B. gab an, das Attentat gezielt am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur verübt zu haben. Letzter Auslöser sei der rechte Terroranschlag auf zwei Moscheen im neuseeländischen Christchurch im März 2019 gewesen, bei dem 51 Menschen starben. Ein ähnliches Blutbad in Halle scheiterte, weil es B. trotz massiven Waffeneinsatzes nicht gelungen war, die Tür zur Synagoge aufzubrechen. Er habe »grandios versagt« und sich »global lächerlich gemacht«, sagte der 28-Jährige, der stattdessen eine Passantin und einen Besucher eines nahe gelegenen Dönerimbisses erschoss und später zwei Menschen durch Schüsse verletzte.
Der Generalbundesanwalt legt B. 13 Delikte zur Last, von Mord über versuchten Mord in 52 Fällen und gefährliche Körperverletzung, von Volksverhetzung über Leugnung des Holocaust bis hin zu Verstößen gegen die Straßenverkehrsordnung.
Wegen der Schwere der Taten komme nach Verbüßen der zu erwartenden Haftstrafe eine lebenslange Sicherungsverwahrung in Betracht, sagte Bundesanwalt Kai Lohse. Die Bundesbehörde hatte die Ermittlungen übernommen, weil die Taten geeignet gewesen seien, die »Verfassungsgrundsätze der Bundesrepublik zu untergraben«, wie OLG-Sprecher Wolfgang Ehm vorab sagte.
Nicht zuletzt aus diesem Grund stößt der Prozess auf enormes Interesse. Für die Hauptverhandlung haben sich rund 70 Journalisten angemeldet, unter ihnen Korrespondenten aus Israel, den USA und den Niederlanden. Zugleich findet das Verfahren unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen statt.
Vertreter der Nebenklage hatten bereits vorab gefordert, im Prozess vor allem der Sichtweise der Opfer und weniger der des Täters Geltung zu verschaffen. Es gehe darum, dem »Mythos des isolierten Einzeltäters« entgegenzuwirken, heißt es in einer Erklärung mehrerer Anwälte. Der sachsen-anhaltische Verein »Miteinander« ergänzte, im »digitalen Zeitalter« agierten Täter wie B. in einem Netz von Gleichgesinnten; man sei daher »mit einem globalen rechtsterroristischen Netzwerk konfrontiert«. Für dessen Gefahren müssten der Prozess und die Berichterstattung darüber sensibilisieren.
Während der Verhandlung mahnte Nebenklägerin Christina Feist Medienvertreter und Richterin: »Ich bitte Sie alle inständig, berichten Sie nicht nur über den Täter. Berichten Sie nicht nur über seine Perspektive. Geben Sie ihm nicht die Plattform, die er haben will.« Feist war am Tag des Anschlags unter den Besuchern der Synagoge gewesen.
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