Ganz kleine Großveranstaltung

Das Istaf in Berlin fällt nicht aus, wird aber nur 3500 Leichtathletikfans im Olympiastadion empfangen

Martin Seeber ist seit vielen Jahren ein sehr ideenreicher Manager und Direktor der bedeutendsten deutschen Leichtathletikveranstaltung, dem Internationalen Stadionfest (Istaf) in Berlin. Vor dem Hintergrund der »Verordnung über das Verbot von Großveranstaltungen« des Berliner Senats aus dem April hatte er jedoch zunächst die Erwartungen an ihn gedämpft: »Das weltweit älteste und zuschauerstärkste Leichtathletikmeeting komplett ohne Zuschauer - das wird unter diesen Umständen nicht stattfinden.« Immerhin hatte er noch hinzugefügt, dass man für Fans, Sponsoren und Athleten »alle erdenklichen Szenarien durchspielen« werde, um genau das zu verhindern.

Der eifrige Macher tüftelte alsdann mit seinen Mitstreitern an allen denkbaren Lösungen - offenbar mit Erfolg. Denn während man sich im Fußball darum bemüht, dass am 18. September die Bundesliga wieder vor Zuschauern in den Arenen angepfiffen wird, ist die Leichtathletik einen kleinen Schritt voraus. Das 79. Istaf wird eine der ersten Großveranstaltungen mit Zuschauern sein. »Wir wollen mit dem Istaf auch ein Zeichen für den Sport setzen und ein Leuchtturm für die Leichtathletik sein. Wir wollen zeigen, dass wir auch in schwierigen Zeiten für die Fans und Athleten da sind«, sagt Seeber.

Allerdings wird es Beschränkungen geben. Kamen in den vergangenen Jahren stets um die 40 000 Zuschauer, werden am 13. September gerade mal 3500 Fans ins Olympiastadion gelassen. Das 74 000 Zuschauern Platz bietende Rund wird so ziemlich leer aussehen. Auf einen besetzten Platz wird es etwa 20 freie geben. Eine Minikulisse, aber immerhin besser als nichts. Die Coronavirus-Infektionsschutzverordnung des Landes Berlin erlaubt nun einmal auch im September noch Großveranstaltungen im Freien mit bis zu 5000 zeitgleich Anwesenden. Neben den 3500 Zuschauern werden sich also weitere 1500 Personen im Olympiastadion aufhalten: Athleten, Trainer, Kampfrichter, Mediziner, Helfer, Sicherheitsdienst, Techniker und Medienvertreter. »Wir sind sehr froh, dass wir mit unserem umfangreichen Hygienekonzept zumindest mehreren tausend Zuschauern den Besuch ermöglichen können«, so der Meetingchef gegenüber »nd«. Die Veranstaltung wurde kurzerhand »Istaf 5000« getauft. »Es wird ganz anders als seine Vorgänger. Aber es ist ein erster, kleiner Schritt zurück in die Normalität.« Sollten sich die Maßnahmen zum Infektionsschutz nicht ändern, wäre das Istaf eine der ersten Leichtathletikveranstaltungen mit Zuschauern und somit ein Test für kommende Events.

Die Verordnung des Senats macht auch eine komplett neue Organisation des Ticketverkaufs notwendig. Ausschließlich personalisierte Karten werden online oder telefonisch vergeben und nur ausgewählte Plätze mit ausreichendem Abstand zueinander angeboten. Das neue Konzept sieht nur noch drei statt früher fünf Preiskategorien vor. Die Karten kosten zwischen 29 und 49 Euro. »Die Athleten lieben die einmalige Istaf-Atmosphäre, und die verdanken wir den Fans. Auch wenn wir nicht alle Wünsche erfüllen können: Ziel war und ist es, so vielen Fans wie möglich einen sicheren Besuch im Stadion zu ermöglichen. Deshalb scheuen wir auch vor dem hohen organisatorischen Aufwand nicht zurück«, sagt Martin Seeber.

Obwohl ein solches Event im Olympiastadion mit sehr hohen Kosten verbunden ist, die in der Regel auch durch die Zuschauereinnahmen hereingeholt werden, was in diesem Jahr wegfällt, dürfen die Fans wieder auf großen Sport hoffen - und das in einem Jahr ohne Olympia und Weltmeisterschaften. »Wir werden nichts unversucht lassen, um ein attraktives Teilnehmerfeld nach Berlin zu holen«, macht Seeber deutlich. So konnten bereits Weltklasseathleten wie der schwedische Stabhochsprung-Weltrekordler Armand Duplantis und der deutsche Publikumsliebling Gesa Krause verpflichtet werden. Die Europameisterin hatte im Vorjahr vor rund 40 000 Zuschauern eine Weltbestzeit über die selten gelaufenen nicht-olympischen 2000 Meter Hindernis erzielt.

Ein Aufatmen gibt es derweil auch bei den Organisatoren der von Anfang Juni auf den 8. und 9. August verschobenen Deutschen Leichtathletik-Meisterschaften in Braunschweig. Zwar werden die Titelkämpfe im Gegensatz zum Istaf komplett ohne Zuschauer stattfinden. Doch inzwischen können nach langer Ungewissheit aufgrund der neuesten Corona-Verordnung von Niedersachen alle Bahnwettbewerbe vom Sprint bis zu den Mittel- und Langstrecken in gewohnter Form ausgetragen werden. Es müssen keine Bahnen für eine Kontaktvermeidung mehr frei bleiben, wie ursprünglich befürchtet. Und die Mittel- und Langstreckler können wie früher wieder im Pulk laufen.

»Unsere langfristigen strategischen Bemühungen, alle Disziplinen in Braunschweig unter Berücksichtigung des Hygienekonzepts unterzubringen, haben sich letztlich ausgezahlt«, freute sich DLV-Generaldirektor Idriss Gonschinska. Der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) hatte ein Durchführungskonzept erarbeitet, das nach Abstimmung mit der Stadt Braunschweig und dem Land abgesegnet wurde.

»Trotz der für die Athleten veränderten und damit ungewohnten Rahmenbedingungen werden die sportlichen Leistungen hochklassig sein«, ist Gonschinska überzeugt und fügt hinzu: »Die Athleten und Trainer sind froh, dass sie sich jetzt wieder in Wettkämpfen herausfordern und entwickeln können. Wir haben zudem deutlich weniger verletzte Athleten als zu vergleichbaren Zeiträumen in den letzten Jahren, was Ausdruck eines gelungenen Umgangs mit der schwierigen Situation der vergangenen Monate ist und vermutlich auch mit einer gewissen mentalen Entschleunigung zu tun hat. Das ist eine gute Ausgangsposition für spannende Meisterschaften.«

In seiner Auffassung bestärkte ihn auch eine Expertenrunde, die unlängst im Rahmen des Online-Kurses »Spitzensport in außergewöhnlichen Zeiten« das Thema »Wettkämpfe ohne Zuschauer« diskutierte. Dabei rief die DLV-Psychologin Tanja Damaske, einst renommierte Speerwerferin, WM-Dritte von 1997 und Europameisterin von 1998, die Athleten dazu auf, sich gedanklich wieder an die eigenen Jugendjahre zu erinnern. »In der Jugend wächst man damit auf. Man kennt das nicht mit den vollen Stadien und ist es gewohnt, auch im leeren Stadion Leistung zu erbringen. Vielleicht ist das eine Möglichkeit, damit umzugehen - quasi: ›back to the roots‹.« Für manche Sportler könnten sich Wettkämpfe ohne Publikum sogar befreiend anfühlen. »Sie werden mitunter als weniger stressig empfunden. Diese Situation ist also nicht für jeden durchweg negativ«, so Damaske.

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