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Politischer Zeitvertreib
Bei ihrem Saisonstart gibt nun auch die Major League Baseball ihr Credo auf, politikfrei zu sein.
Ein schwarzes Stoffband, gut 200 Meter lang. Es beginnt an einem Ende des Spielfelds und führt über die Homebase bis zum anderen Ende. Gut 70 Spieler, Trainer und Manager von beiden Teams halten es gemeinsam und knien nieder. Die tiefe markerschütternde Stimme von Oscar-Preisträger Morgan Freeman flutet das Nationals-Park-Stadion: »Dieser Moment zeigt unsere Brüderlichkeit, unsere Einheit. Ohne Empathie kann es weder Gleichheit noch Einheit geben. Uns eint ein Ziel: Gleiche Bedingungen für alle und ein Ende der Ungerechtigkeiten. Wir sind Menschen aus 25 Nationen von sechs Kontinenten. Und heute sind wir eins.«
Die Symbolik ist stark: Wir halten zusammen. Wir demonstrieren gemeinsam für Gerechtigkeit. Black Lives Matter. Auch wenn im Stadion der Washington Nationals kein Zuschauer auf den Rängen sitzt, sehen doch Millionen zu, denn es ist das Saisoneröffnungsspiel der Major League Baseball MLB.
Das Band, Freeman und die knienden Spieler bleiben nicht die einzigen Gesten am Donnerstagabend. Auf dem kleinen Werferhügel in der Mitte des Spielfelds hat die Liga ihre eigenen Initialen gedreht. Aus MLB wird BLM. Black Lives Matter. Im zweiten Abendspiel in Los Angeles werden die Gesten wiederholt. Am Freitagabend (nach Redaktionsschluss) sollen sie im ganzen Land zu sehen sein. Für die Liga ist das ein großer Schritt. Hatte die Protestbewegung im US-Sport mit Footballstar Colin Kaepernick angefangen und schnell die NBA der Basketballer ergriffen, blieben Baseballspieler still. Niemand kniete bei der Hymne. »America's Pastime« - der Zeitvertreib der Amerikaner sollte so lange es geht politikfrei bleiben.
Doch offensichtlich geht es nicht mehr. Die Saison 2020 hätte Anfang April starten sollen, doch dann kam die Corona-Pandemie. Und dann kam George Floyd. Plötzlich trauten sich die schwarzen Spieler der MLB, über den alltäglichen Rassismus in der Gesellschaft zu sprechen. Und kein Manager, kein Klubeigner hielt sie mehr auf. Weiße Spieler wie Cincinnatis Joey Votto hinterfragten ihre Rolle: »Alles in mir möchte, dass die Dinge wieder normal werden. Ich möchte nicht protestieren. Ich möchte keine Normen in Frage stellen. Aber ich höre dich jetzt«, schrieb Votto Anfang Juni in einem offenen Brief an einen schwarzen Mitspieler, nachdem er sich das Video von Floyds Ermordnung angesehen hatte. »Das Verlangen nach Normalität ist ein Privileg, dem ich nicht mehr nachgeben kann.« Mittlerweile kniet Votto bei der Nationalhymne.
Beim Spiel Washingtons gegen die New York Yankees am Donnerstag standen alle bei der Hymne. Gekniet hatten sie ja vorher schon. Donald Trump dürfte das gar nicht gefallen. Der US-Präsident hatte immer wieder versucht, die wenigen gegen Rassismus protestierenden Sportler als respektlos gegenüber Hymne und Flagge zu diskreditieren. Nun protestierten alle gemeinsam und sie nahmen Trump das Mittel der Ablenkung.
Dieser war zuvor schon von den Offiziellen der Nationals und der MLB vor den Kopf gestoßen worden. Normalerweise darf der Präsident die Saison mit einem zeremoniellen Wurf eröffnen. Eingeladen wurde diesmal aber Dr. Anthony Fauci. Der oberste Infektionsexperte des Landes hat in den vergangenen Monaten immer wieder Trumps Schönfärberei der Coronakrise ad absurdum geführt. Die Liga traut sich plötzlich was.
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