Exportland Italien

In der Debatte über EU-Hilfen ist wieder ein falsches Bild des Landes gezeichnet worden

  • Anna Maldini
  • Lesedauer: 3 Min.

Bei seiner Rückkehr von dem Verhandlungsmarathon in Brüssel wurde Ministerpräsident Giuseppe Conte wie ein siegreicher altrömischer Feldherr empfangen - und eigentlich fehlte nur der Triumphzug über die via Trionfale in Rom, wie es für die Sieger von vor 2000 Jahren üblich war. Selbst die Oppositionsparteien vergaßen für einen Moment ihre üblichen Beschimpfungen und applaudierten dem Regierungschef, als er am Mittwoch vor dem Parlament Bericht erstattete.

Tatsächlich hat Giuseppe Conte für Italien ein beachtliches Finanzpaket rausschlagen können, auch wenn man Zahlen, Termine und Bedingungen noch nicht ganz genau kennt. Derzeit spricht man, allein was den sogenannten Wiederaufbaufonds betrifft, von etwa 209 Milliarden Euro, von denen 127 Milliarden Kredite und 82 Milliarden Zuschüsse sein sollten. Dazu kommen wahrscheinlich weitere Milliarden aus anderen Töpfen, dies ist aber noch nicht definitiv beschlossen.

Das ist viel Geld für das Land, das mit seinen über 35 000 Toten in der EU am schwersten von der Corona-Krise getroffen wurde. Die Union will Italien »retten« und verhält sich völlig anders als vor zehn Jahren gegenüber Griechenland.

Dafür gibt es viele Gründe, die von den beiden Wirtschaftswissenschaftlern Philipp Heimberger und Nikolas Kowall folgendermaßen zusammengefasst werden: »Italien ist der zweitgrößte Produzent von Industriegütern in der EU, verzeichnet Exportüberschüsse und hat EU-Sparvorgaben oft strikter eingehalten als Deutschland oder Österreich«. Die weit verbreitete Meinung, dass das Mittelmeerland »über seine Verhältnisse lebt«, hält einer näheren Betrachtung also nicht stand, obwohl sie jahrelang auch von den EU-Spitzen verbreitet wurde: »Seit 2012 exportiert Italien mehr als es importiert«, schreiben die beiden Ökonomen. »Das Land verbraucht weniger als es produziert - Italien lebt somit unter seinen Verhältnissen.«

Das wirklich große Problem des Landes sind seine Staatsschulden, die bei über 135 Prozent der Wirtschaftsleistung liegen. Sie wurden in den 1980er Jahren gemacht und seitdem trägt das Land einen schweren Zinsballast mit sich herum. Würde man diese Zinsbelastung abziehen, wäre der Staatshaushalt Italiens seit 1992 im Plus. Das ist vor allem darauf zurückzuführen, dass Italien ein großer Industriestandort ist - 16 Prozent der industriellen Produktion der EU kommen aus Italien. Hinzu kommt, dass sich das Land viel stärker an wirtschaftspolitische Vorgaben der EU gehalten hat als etwa Deutschland und Frankreich, was eine umfangreiche Studie des niederländischen Ökonomen Servaas Storm belegt.

All das heißt natürlich nicht, dass in Italien alles eitel Sonnenschein ist. Auch abgesehen von der Staatsverschuldung hat das Land einige schwerwiegende Strukturprobleme. An erster Stelle könnte man die organisierte Kriminalität nennen, obwohl die inzwischen auch in anderen EU-Länder stark ist. Der größte Teil des Kokainhandels in Europa läuft über die kalabrische ‘Ndrangheta, die natürlich keine Steuern auf ihre immensen Einnahmen zahlt und mit dem enormen Kapital, über das sie verfügt, große Bereiche der Marktwirtschaft verzerrt.

Auch aufgrund der hohen Staatsschulden hat Italien in den letzten Jahrzehnten wenig in wichtige Infrastrukturen und in das Bildungswesen investieren können, was sich jetzt rächt. Große Defizite gibt es auch bei der übermächtigen Bürokratie und in der Justizverwaltung, eben in all den Bereichen, in die einer moderner Staat investieren müsste - wenn er denn Geld hätte.

Die EU kann Italien nicht fallen lassen - und das nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen. Europa ohne Italien ist nicht denkbar. Dieses Land hat die Geschicke des Kontinents mindestens 2500 Jahre entschieden mitgestaltet. Das betrifft nicht nur die »alten Römer« - der rote Faden zieht sich von der Antike über die Renaissance bis heute. Man denke nur an alle kulturellen Bereiche, an Literatur, Architektur, die Film- und die Modebranche, die Lebensweise und das Essen. Viel von dem, was überall in der Welt als »typisch europäisch« gilt, kommt aus Italien.

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