Minister will Romafamilie abschieben

Nicht allein der niedersächsische Flüchtlingsrat ist erschüttert über die Entscheidung von Boris Pistorius

  • Hagen Jung
  • Lesedauer: 3 Min.

Sechs von acht Kindern der Romafamilie M. sind in Niedersachsen geboren worden, kennen die Heimat ihrer 1986 und 1990 aus Serbien nach Deutschland geflüchteten Eltern gar nicht. Doch Mutter und Vater sowie die Kinder, ausgenommen die 19-jährige Tochter, will Innenminister Boris Pistorius auf die Balkanhalbinsel abschieben. Eine »wirklich erschütternde Haltung« sei dies, bewertet der Flüchtlingsrat Niedersachsen die Entscheidung des Ressortchefs.

Er und auch die Verwaltung des Kreises Peine, wo die Familie lebt, argumentierten bei der Begründung der Abschiebung »formalistisch und kalt«, betonen die Flüchtlingshelferinnen und -helfer. Sie geben zu bedenken: Vater M. sei unbefristet im Pflegedienst beschäftigt, auch seine Frau habe im Pflegebereich gearbeitet, sei aber unter der Belastung der drohenden Abschiebung erkrankt und daraufhin entlassen worden.

Für den 16-jährigen Sohn der Familie liegt bei einem gastronomischen Betrieb am Wohnort ein Ausbildungsvertrag bereit. Doch der junge Mann kann den Vertrag nicht unterschreiben, weil ihm die zuständigen Stellen keine Arbeitserlaubnis erteilen und auch nicht die sogenannte Ausbildungsduldung. Seitens des Betriebes, der die Lehrstelle anbietet, heißt es: »Wir sind entsetzt, dass die Behörden so mit Menschen umgehen und ihnen damit Perspektiven verbauen.« Schnellstmöglich, so fordert die Leiterin der Peiner Firmenfiliale, sollten Innenministerium und Kreisverwaltung dafür sorgen, dass Familie M.ein Bleiberecht und der 16-Jährige die nötigen Genehmigungen bekommen.

Das fordert auch Susanne Menge, die migrationspolitische Sprecherin der oppositionellen Grünen-Fraktion im niedersächsischen Landtag. Sie gibt zu bedenken, die Familie M. sei auf dem Weg, die Negativspirale aus mangelnder Bildung, prekären Arbeitsverhältnissen, Armut und Krankheit zu durchbrechen. Für diesen Weg müssten der Innenminister und der Landkreis den Weg frei machen, anstatt diese Menschen abzuschieben.

Der aktuelle Fall zeige auch, betonte Menge, dass Niedersachsen endlich den Beispielen von Baden-Württemberg, Hessen und Bayern folgen und einen Staatsvertrag mit den Verbänden der Roma und Sinti schließen müsse. So würde die Grundlage für deren Gleichstellung in der Gesellschaft und für Maßnahmen gegen Diskriminierung geschaffen. »Deutsche Sinti und Roma leben seit über 600 Jahren auf dem Gebiet der Bundesrepublik und sind als nationale Minderheit anerkannt«, erinnert die Landtagsabgeordnete.

Des Ministers Pressesprecherin Simone Schelk indes erinnert daran, dass die Härtefallkommission des Landes zwar ein Ersuchen im Sinne der Betroffenen beschlossen hatte, sich der Minister jedoch »nach eingehender Prüfung« dagegen entschieden habe. Einer der Gründe: Die schon 2013 geschlossene Integrationsvereinbarung sei von der Familie nicht eingehalten worden. Auch andere Möglichkeiten, »aus eigener Kraft« ein Aufenthaltsrecht zu erhalten, habe die Familie »ungenutzt verstreichen« lassen, erklärte die Sprecherin auf Anfrage gegenüber »nd«, und: weitere »rechtliche Hürden« vor einer Aufenthaltserlaubnis seien »strafrechtliche Verfehlungen eines Familienmitgliedes«.

Die »Verfehlungen« eines Einzelnen werden also offenbar von Boris Pistorius mit herangezogen bei der Entscheidung über Schicksal und Leid einer ganzen Familie. Diese, so fordern neben dem Flüchtlingsrat das Roma-Center Göttingen und weitere Organisationen, brauche Unterstützung und ein gesichertes Bleiberecht. Nur so brauchten die acht Menschen nicht Tag für Tag in der ständigen Furcht zu leben, ihr Zuhause verlassen zu müssen.

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