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Türkische Kommunisten verurteilt
Münchner Gericht sieht »Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland«
Sie standen in München wegen »Verdachts der Rädelsführerschaft beziehungsweise Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland« vor Gericht: Zehn Mitglieder der Türkischen Kommunistischen Partei/Marxisten Leninisten (TKP/ML). Grundlage für die Anklage war der Paragraf 129b des Strafgesetzbuchs, wonach eine ausländische Organisation verfolgt werden kann, wenn diese in ihrer Heimat »gegen die Grundwerte einer die Würde des Menschen achtenden staatlichen Ordnung« opponiert. Jetzt hat das Gericht den Hauptangeklagten Müslüm Elma wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland zu sechs Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt, die anderen Angeklagten erhielten Haftstrafen zwischen zwei Jahren und neun Monaten und fünf Jahren.
Vor dem Gerichtsgebäude an der Nymphenburger Straße wehten am Dienstag rote Fahnen, die Konföderation der Arbeiter aus der Türkei in Europa (ATIK), der kurdische Dachverband KCDK-E sowie die Rote Hilfe und andere linke Organisationen protestierten gegen die Urteile und forderten die Abschaffung des Paragraph 129b und ein Ende der Zusammenarbeit der Bundesregierung mit dem »Erdoğan-Regime« in der Türkei.
Drinnen ging im Gerichtsaal 101 – in ihm fand auch der NSU-Prozess statt – ein vierjähriger Mammutprozess unter Coronabedingungen zu Ende. Auf der Zuschauertribüne saßen lediglich zwölf Personen. Eine Stunde brauchte der Vorsitzende Richter, um ein Bild der TKP/ML zu zeichnen. Sie sei eine 1972 gegründete kommunistische Partei, die mit Hilfe des bewaffneten Kampfes die Gesellschaftsordnung der Türkei bekämpfen und eine Diktatur des Proletariats errichten wolle. Der bewaffnete Arm der Partei habe von 2004 bis 2015 Sprengstoffanschläge und bewaffnete Überfälle auf das Militär verübt. Den Angeklagten wird zur Last gelegt, in der Auslandsabteilung der Partei finanzielle Mittel beschafft und Propaganda betrieben zu haben. Müslüm Elma sei Mitglied des Zentralkomitees und Deutschlandchef der Partei gewesen. Die TKP/ML wird in Deutschland zwar vom Verfassungsschutz beobachtet, ist aber nicht verboten.
Die Verteidiger und Unterstützer hatten bereits beim Prozessauftakt vor vier Jahren kritisiert, dass sich die Bundesanwaltschaft bei ihrer Anklage auch auf Ermittlungen aus der Türkei stützte. Der Einleitung dieses Strafverfahrens liege eine außenpolitische Entscheidung, nämlich die Erteilung der sogenannten Verfolgungsermächtigung durch das Bundesjustizministerium zugrunde: Ob eine Strafverfolgung durchgeführt wird, hängt davon ab, ob diese den Interessen der Bundesrepublik Deutschland entspricht. Maßgebend soll dabei nach dem Gesetz unter anderem sein, ob sich die Ziele der Vereinigung gegen einen ausländischen Staat richten, der die Würde des Menschen achtet.
Die Verteidigung der Angeklagten hatte bei Prozessbeginn unter Hinweis auf die Menschenrechtsverletzungen und totalitären Tendenzen in der Türkei vergeblich die Rücknahme der Verfolgungsermächtigung durch das Bundesjustizministerium und die Einstellung des Verfahrens gefordert: »Die ›Maßnahmen‹ der AKP-Regierung seit dem 15. Juli 2016 zeigen der gesamten Welt, dass sich die Türkei auf dem Weg zu einem offen diktatorisch agierenden Staat befindet, der sämtliche demokratischen und rechtsstaatlichen Prinzipien über Bord wirft.« Die Menschenwürde und Menschenrechte würden missachtet. Die Rechtsanwälte meinten schon 2016: »Das gegen unsere Mandanten geführte Verfahren musste schon bisher als Auftragsarbeit für Erdoğan und sein Regime verstanden werden. Eine Fortführung dieses Strafverfahrens würde nach den Geschehnissen der letzten Tage eine Legitimierung der antidemokratischen und antirechtsstaatlichen Maßnahmen Erdoğans bedeuten.«
Erhan Aktürk, einer der Angeklagten, sagte nun in seinem Schlusswort vor der Urteilsverkündung: »Als erstes ist zu sagen, dass dieses Verfahren ein politischer Prozess ist. Aus diesem Grunde waren unsere Antworten auch von Anfang bis heute politischer Natur.« Er fügte hinzu: »Wir stehen auf der Seite der unterdrückten Völker und unterjochten Nationen und führen ihren Freiheitskampf. Gerade deswegen sind wir, zwar nicht im Gerichtssaal, aber im Herzen der unterdrückten Völker längst freigesprochen.«
Während des Prozesses hatte sich die einzige Frau unter den Angeklagten, die Ärztin Dilay Banu Büyükavci, über die Haftbedingungen beschwert: »Ich wurde am 15. April 2015 festgenommen und befinde mich seit dem 16. April 2015 im Frauengefängnis von München in Haft. Ich wurde in Deutschland, von dem gesagt wird, es gäbe dort keine Folter und keine Menschenrechtsverletzungen, einer der schwersten Formen von Folter, der Isolation, unterzogen«, so die Angeklagte 2016 in einer Erklärung.
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