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Schöne Bücher gegen ewige Regenten
Der kleine Berliner Verlag Ciconia Ciconia macht ungewöhnlich schöne Bücher und bringt die wichtigsten Stimmen der oppositionellen russischen Kunst und Literatur nach Deutschland.
Es sind eher Kunstwerke als Bücher, aufwendig gestaltete Bände, in denen Text und Bild stets miteinander korrespondieren. Die meisten der Autor*innen und Künstler*innen des Berliner Kleinverlags Ciconia Ciconia kommen aus Russland und Osteuropa, viele regierungskritisch, und können in ihren Heimatländern nur eingeschränkt publizieren. Bei Ciconia Ciconia finden sie eine Möglichkeit, ihre Projekte zu realisieren.
So geplant war das alles nicht, erzählt Wladimir Velminski, der den Verlag zusammen mit dem Grafikdesigner Dmitri Dergatchev 2015 gegründet hat, am Telefon. Den Anstoß dazu gab eher der befreundete Künstler und Autor Pavel Pepperstein. Er hatte sich beschwert, dass einige seiner aktuellen Werke in Russland nicht erscheinen können. Pepperstein macht dafür vor allem die Selbstzensur der Verlage verantwortlich. Dabei gehört er gar nicht zu den besonders lauten Kritikern des Kremls - er ist ein anerkannter Künstler, der 2009 Russland auf der Biennale von Venedig vertrat. Kritik an den gegenwärtigen Verhältnissen in Russland präsentiert er in seiner Kunst auch recht subtil. Doch das reicht schon aus, dass die Verlage vorsichtig werden. In Russland ist es oft nicht vorhersehbar, was Anstoß erregen wird, welche Form der Kritik für die Beteiligten gefährlich werden könnte und welche nicht.
Wenn Peppersteins Werke schon nicht in Russland erscheinen können, wollte Velminski wenigstens einen deutschen Verlag für sie finden. Doch das besondere Zusammenspiel von Text und Bild bei Pepperstein, das sich nicht einfach in die Schublade »Graphic Novel« stecken lässt, macht seine Werke schwer einordenbar und für die Verlage ökonomisch wenig attraktiv. So entstand die Idee, einen eigenen Verlag zu gründen, der diese Nische besetzt: Bücher, in denen Bilder nicht bloß Illustrationen, sondern Teil des Gesamtkonzepts sind. Publikationen, die nicht nur von Kunst handeln, sondern selbst Kunstwerke sind.
Mittlerweile sind über zwanzig Bände bei Ciconia Ciconia erschienen und viele weitere sind in Planung. Aber die beiden ersten Veröffentlichungen, Peppersteins Erzählungen »Stadt Russland« und »Der Architekt und das Goldene Kind«, sind für Verleger Velminski immer noch die spannendsten im Verlagsprogramm. Sie entwerfen eine utopische Architektur im Geist der russischen Avantgarde: Statt immer mehr historische Gebäude in Moskau und Sankt Petersburg abzureißen, um Platz für Neues zu schaffen, soll in der Mitte zwischen den beiden Metropolen eine neue russische Hauptstadt entstehen, die Stadt Russland. Die entworfenen Gebäude für diese Stadt der Zukunft reflektieren die russische Geschichte und Gegenwart kritisch und stecken voller witziger Details und Anspielungen: Die Regierung wird in Zukunft im Malevich-Tower, einem schwarzen Kubus, untergebracht sein, der »die traditionelle Undurchsichtigkeit der russischen Macht und ihrer Handlungen« symbolisiert. Weitere Gebäude ermöglichen beispielsweise die Kommunikation mit den Toten oder die Erforschung kosmischer Klänge.
»Der Architekt und das Goldene Kind« versammelt ebenfalls Entwürfe für utopische Bauwerke. Sie sind eingebettet in die Erzählung über einen künstlich erschaffenen Herrscher, der Russland in der fernen Zukunft regiert. Hier wird, ohne direkte Kritik zu äußern, die aktuelle politische Situation aufgegriffen, »dass der Regent immer länger an der Macht bleibt«, so Velminski. »Ich musste schmunzeln, als ich vor Kurzem erfahren habe, dass Putins Tochter ein Institut für künstliche Intelligenz leiten soll. Da ist der Schritt zu diesem Regenten, der in ›Der Architekt und das Goldene Kind‹ beschrieben wird, eigentlich nicht mehr so weit.«
Das nächste Projekt von Ciconia Ciconia entstand in Zusammenarbeit mit Pjotr Pawlenski. Der Aktionskünstler gehört zu den bekanntesten und umstrittensten Akteuren der aktuellen oppositionellen Kunst in Russland. Bekannt geworden ist er vor allem mit seiner Performance »fixierung«, in der er seinen Hodensack am Roten Platz festnagelte. Die nackte Schutzlosigkeit und die Unmöglichkeit, sich zu bewegen, sollten »das Trauma des kleinen Mannes gefangen im Alltag« symbolisieren. Der Band »Pawlenski/Aktionen« dokumentiert diese und andere Performances mit Fotos, Äußerungen des Künstlers, Gerichtsakten, Protokollen und Gutachten. Deutlich wird dabei vor allem eins: Die Reaktionen der Öffentlichkeit und der Strafbehörden sind ebenso Teil der Performances wie die Aktionen selbst.
Für eine weitere Performance mit dem Titel »bedrohung« zündete Pawlenski die Eingangstür des Geheimdienstes FSB in Moskau an, um gegen »das Angstmachen als Herrschaftsmethode« zu protestieren. Pawlenski saß dafür ein halbes Jahr im Gefängnis und wurde gleichzeitig für einen staatlichen Kunstpreis nominiert. Auch wenn diese Nominierung wieder zurückgezogen wurde, zeigen sich hier sehr deutlich die Widersprüche und die Willkür beim Umgang mit kritischer Kunst in Russland.
Verleger Wladimir Velminski reiste selbst nach Moskau, um den Prozess gegen Pawlenski zu verfolgen. Mascha Alechina von Pussy Riot nahm ebenfalls als Zuschauerin teil. Während der Verhandlungspausen unterhielten sie sich, woraus dann das nächste Buchprojekt für Ciconia Ciconia entstand: Alechinas Buch über den Auftritt in der Christ-Erlöser-Kathedrale und dessen Folgen war bisher nur im Samisdat, im Selbstverlag, erschienen und nur über wenige Buchhandlungen zu beziehen. Unter dem Titel »Tage des Aufstands« ist es nun auf Deutsch erhältlich. Es erzählt mit einer Collage aus Songtexten, Erinnerungen, Dialogen, Parolen und Zitaten von der Entstehung der Gruppe aus den Protesten gegen Putins dritte Amtszeit, von ihren Aktionen und vor allem von der anschließenden Hetzjagd, dem Prozess und der Lagerhaft. Die Botschaft ist klar und stark: »Wir, Pussy Riot, gingen auf den Platz, weil wir eine andere Geschichte wollten. Denn die, in der sich der Präsident in einen Imperator verwandelt, passte uns nicht.« Doch besonders interessant sind auch die vielen Zitate von Regierungsvertretern und Prozessbeteiligten, da sie die extrem konservative und antifeministische Haltung der Mehrheitsgesellschaft zeigen. Ein wichtiges Buch - Kunst und Dokumentation zugleich.
»Ab da wurde es zum Selbstläufer«, erzählt Velminski. Immer mehr Menschen wurden auf den Verlag aufmerksam und waren begeistert von den ungewöhnlichen Büchern. Darunter auch Schriftsteller Vladimir Sorokin, mit dem eine intensive Zusammenarbeit entstand. Sorokin kritisiert die gegenwärtigen politischen Entwicklungen in Russland scharf. Gleichzeitig ist er ein wichtiger und anerkannter Autor, dessen Werke auch in Russland erscheinen und viel gelesen werden. Doch nicht alle Projekte können dort umgesetzt werden - so auch »Das Buch der Opritschniks«, die bisher aufwendigste Publikation des Berliner Kleinverlags. In bibliophiler Aufmachung präsentiert dieser großformatige Band eine düstere Zukunft, wie man sie schon aus anderen Werken von Sorokin kennt: Eine Mauer trennt das wieder feudal gewordene Russland vom feindlichen Westen, die alte Leibwächtertruppe des Zaren, die Opritschniks, sorgt wieder für Ordnung und Schrecken. Yaroslav Schwarzstein lässt Sorokins Texte in Bildern lebendig werden und verwandelt die Szenen in einen »altrussischen Cyberpunk-Comic«. Ein solches Buch könnte in Russland nicht erscheinen, sagt Velminski. Aber auch in Deutschland sei es nicht leicht gewesen. Es ist ein Herzensprojekt des Verlages, in dem viel Geld und Zeit steckt.
Auch wenn viele der verlegten Autor*innen oppositionelle Künstler*innen aus Russland sind, ist das für Velminski jedoch keine Voraussetzung, um von Ciconia Ciconia verlegt zu werden. Umgesetzt werden die Projekte, die die Verleger spannend finden und die finanziert werden können. »Es muss uns irgendwie interessieren, uns treffen - und dann arbeiten wir uns daran ab.« Gerade ist beispielsweise ein medienwissenschaftlicher Sammelband erschienen, und das Buch eines deutschen Autors, der die Verleger einfach mit seinem Text überzeugt hat, ist ebenfalls in Arbeit. Diese Offenheit lasse Raum für viele interessante Projekte, doch Russland und Osteuropa werden sicher nicht aus dem Fokus verschwinden.
Ciconia Ciconia ist ein Beispiel dafür, dass es möglich ist, publizistische Wagnisse einzugehen und damit erfolgreich zu sein. Sorgen um die Zukunft des Verlages macht Velminski sich jedenfalls keine: »Diejenigen, die unsere Bücher kennen, lieben unsere Bücher.«
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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