- Politik
- Rechte Demonstration in Berlin
Katja Kipping kritisiert Corona-Leugner als »rücksichtslos«
Nach Verstößen gegen Hygiene-Auflagen durch Tausende rechte Demonstranten gibt es parteiübergreifend Kritik
Berlin. Linken-Chefin Katja Kipping und andere führende Politiker haben das Verhalten von rechten Demonstranten bei einer Demonstration gegen Corona-Auflagen scharf kritisiert.
Im ZDF-»Sommerinterview« bezeichnete Kipping die Forderungen von Demonstranten gegen die Corona-Auflagen als »Aufruf zur Rücksichtslosigkeit«. Bei einem Demonstrationszug und einer Kundgebung in Berlin hatten die Teilnehmer am Samstag ein Ende aller Auflagen zur Eindämmung der Pandemie gefordert. Es sei mittlerweile bekannt, dass insbesondere kränkere, ältere und einkommensschwächere Menschen stärker unter dem Coronavirus litten, sagte Kipping. Gleichwohl sei es Ausdruck der Stärke der Demokratie, dass solche Demonstrationen möglich seien.
Trotz der offenkundigen Verstöße gegen die Hygiene-Regeln schritt die Polizei über Stunden nicht ein und zeigte zunächst wenig Präsenz. In dem Aufzug waren Flaggen des Deutschen Reiches und Symbole der verschwörungsideologischen QAnon-Bewegung neben Fahnen der Friedensbewegung zu sehen. Auf einem Transparent wurde gefordert, Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU), Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und den Charité-Chefvirologen Christian Drosten »wegzusperren«. Menschen mit Mund-Nasen-Schutz und Journalisten wurden wiederholt von Demonstranten angepöbelt.
Eine Betroffene war die ZDF-Journalistin Dunja Hayali. Sie hatte ihre Dreharbeiten auf der Demonstration gegen Corona-Maßnahmen in Berlin offensichtlich wegen Sicherheitsbedenken abgebrochen. In einem rund 37 Minuten langen Video, das Hayali auf Instagram postete, ist zu sehen, wie Demo-Teilnehmer ihr und ihrem Team am Samstag »Lügenpresse« und »Schämt euch« entgegenrufen. In dem Clip ist auch zu hören, wie ein Mitarbeiter ihres Security-Teams den Drehabbruch empfiehlt. »Das sagt jetzt der Sicherheitsmann, wir sind ja nicht ohne Security hier: Abbruch des Drehs, zu gefährlich«, erklärte die Journalistin.
Polizei schritt nur zögerlich gegen rechte Corona-Leugner ein
Am späten Nachmittag begann die Polizei dann, die Versammlung langsam aufzulösen. Gegen die Veranstalter von Umzug und Kundgebung wurden laut Polizei wegen Nichteinhaltung der Hygiene-Regeln Strafanzeige gestellt. Nach Auflösung der Kundgebung durch die Polizei weigerten sich Tausende der Demonstranten, den Ort zu verlassen, es kam es zu Sitzblockaden. Das zurückhaltende Vorgehen der Einsatzkräfte begründete Polizeisprecher Thilo Cablitz mit der Vermeidung von Panik. Die Polizei war mit etwa 1.100 Beamten im Einsatz.
Unterdessen gibt es scharfe Kritik an der Demonstration. Es ärgere ihn maßlos, dass Menschen aus anderen Teilen Deutschlands nach Berlin kommen, um hier ein Demonstrationsrecht auf Grundlage von Hygiene-Regeln wahrzunehmen, dass sie dann missachteten, sagte Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) am Samstag in der RBB-»Abendschau«.
Der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach schrieb auf Twitter »wer jemals einen Menschen am Beatmungsgerät um sein Leben kämpfen gesehen hat, kann eine solche uninformierte, rücksichtslose und selbstgerechte Verhaltensweise nicht akzeptieren. Wenn das nicht anders zu stoppen ist, muss es erhebliche Bußgelder geben.«
Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, forderte geltendes Recht durchzusetzen. »Offenbar schauen Ordnungsämter und Polizei immer mehr weg, damit es nicht eskaliert«, kritisierte Brysch am Sonntag. So entstünden rechtsfreie Räume und die Infektionsrate steige.
Politiker verärgert über Verstöße gegen Hygieneregeln
»Die schiere Masse an Teilnehmern, wie wir es am Wochenende in Berlin gesehen haben, macht es schwierig, das Einhalten der Auflagen notfalls robust durchzusetzen«, sagte der Vorsitzende der Innenministerkonferenz, Thüringens Ressortchef Georg Maier, der »Süddeutschen Zeitung«. »Aber das muss die Botschaft sein: Solche Versammlungen werden konsequent aufgelöst, wenn sich Teilnehmer nicht daran halten.«
Maier sagte, die Versammlungsfreiheit sei »eines unserer höchsten Güter«. Das bedeute aber nicht, »dass jeder machen kann, was er will«. Der SPD-Politiker bezeichnete das Verhalten der Demonstranten als »unverantwortlich«. »Man mag sich gar nicht die Folgen ausmalen, wenn aus dieser Demonstration ein Infektionsherd wird.« Er warnte zudem: »Ich beobachte mit Sorge, wie rechte Gruppen das Thema besetzen. Es geht ihnen darum, sich damit in die Mitte der Gesellschaft vorzuarbeiten.«
Aus Sorge vor erneut steigenden Corona-Infektionszahlen plädieren Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) für härtere Strafen bei Regelverstößen. »Wer andere absichtlich gefährdet, muss damit rechnen, dass dies für ihn gravierende Folgen hat«, sagte Altmaier der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. »Wir dürfen den gerade beginnenden Aufschwung nicht dadurch gefährden, dass wir einen erneuten Anstieg der Infektionen hinnehmen.«
Viele Menschen seien im Umgang mit dem Virus leider leichtsinniger geworden, so Söder weiter. »Dazu gehören auch die extremen Lockerer und Verschwörungstheoretiker, die alle Maßnahmen schnellstens aufheben wollten.« Jeder, der das Coronavirus unterschätze, sei widerlegt worden. Die zweite Welle sei praktisch doch schon da: »Sie schleicht durch Deutschland.« Es gelte daher, noch aufmerksamer zu sein und rasch und konsequent zu reagieren. »Wir müssen damit rechnen, dass Corona mit voller Wucht wieder auf uns zukommt.«
Linken-Chefin Katja Kipping bemängelte indes nicht nur das Verhalten der Corona-Leugner, sondern auch die Corona-Politik der Bundesregierung. Dort gebe es »zwei große Leerstellen«. So würden die Ärmsten bei den Rettungsschirmen außen vor gelassen. Und sie habe es nicht geschafft, Massenunterkünfte, wie bei Fleischbetrieben, durch dezentrale Unterbringungen zu ersetzen. Zudem brauche es »massenhaft Tests, aber kostenlos«. Agenturen/nd
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.