Prophet und Mahner wider Faschismus

Günter Pappenheim zum 95.

»Nirgendwo gilt ein Prophet weniger als in seiner Heimat«, soll Jesus laut dem Evangelisten Markus an einem Sabbat in der Synagoge seiner Geburtsstadt Nazareth gesagt haben, weil die Leute ungläubig fragten: »Woher hat er diese Weisheit?« Und wer ihm die Macht gäbe, so zu reden.

Günter Pappenheim, jüdischer Herkunft, Atheist und Marxist, hat in den letzten Jahrzehnten immer wieder vor wiederkehrendem faschistischen Ungeist, Nationalismus und völkischem Denken, Rassismus, Fremdenhass, Antisemitismus und Antiziganismus gewarnt und den »Schwur von Buchenwald« beschworen, den die Überlebenden des Konzentrationslagers auf dem Ettersberg bei Weimar am 19. April 1945 im Gedenken an ihre toten Kameraden leisteten: »51 000 erschossen, gehenkt, zertrampelt, erschlagen, erstickt, ersäuft, verhungert, vergiftet, abgespritzt.« Der damals 19-jährige Günter Pappenheim war unter jenen, die in Trauer und Schmerz und doch voller Zuversicht bekundeten: »Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.« Dieses Bekenntnis war und ist für den ehemaligen Buchenwald-Häftling, Vizepräsidenten des Internationalen Komitees Buchenwald-Dora und Kommandeur der französischen Ehrenlegion Verpflichtung.

Der Sohn des 1934 von den Nazis heimtückisch ermordeten sozialdemokratischen Politikers und Landtagsabgeordneten Ludwig Pappenheim wurde von der Gestapo verhaftet, weil er französischen Zwangsarbeitern in seinem Schmalkaldener Lehrbetrieb an deren Nationalfeiertag, am 14. Juli 1943, auf seiner Ziehharmonika die »Marseillaise« vorspielte. Nach brutalen Verhören in einem Suhler Gefängnis und Schwerstarbeit in einem Arbeitslager bei Römhild wurde er im Oktober des Jahres nach Buchenwald deportiert. Das KZ überlebte der schmächtige Jugendliche nur dank der Solidarität der politischen Häftlinge, wie der Veteran betont. Unmittelbar nach der Gründung der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes trat er der überparteilichen VVN bei. »Dass dieser größten deutschen Verfolgtenorganisation 75 Jahre nach der Befreiung vom deutschen Faschismus in übelster antikommunistischer Tonlage aufgrund infamer Unterstellungen von der Berliner Finanzbehörde die Gemeinnützigkeit entzogen werden konnte, ist ein Skandal erster Güte und eine jeglichem demokratischen Verständnis hohnsprechende Schande«, empörte sich Günter Pappenheim anlässlich des 75. Jahrestages der Selbstbefreiung des KZ Buchenwald am 11. April 2020. Er protestierte nicht nur in dieser Zeitung gegen diese Ungeheuerlichkeit, die umso ungeheuerlicher ist ob rechtsextremistischer Anschläge und Morde in Hanau, Halle und Kassel sowie rechtsradikaler Gesinnung in Bundeswehr, Bundespolizei und Bundesverfassungsschutz. Günter Pappenheim schrieb einen Offenen Brief an den Bundesfinanzminister. »Er ließ mir mitteilen, dass er über die Entscheidung der Berliner Steuerverwaltung genau so überrascht gewesen sei wie ich und dass er sich die Anzweiflung der Verfassungstreue der VVN-BdA nicht hätte vorstellen können. Zugleich ließ er darauf verweisen, dass Steuerverwaltung Angelegenheit der Länder und alles rechtmäßig vollzogen worden sei.« Kapitulation eines (Sozial)Demokraten vor der Untergrabung der Demokratie.

Günter Pappenheim, der nach dem Krieg zunächst als Pförtner, Hausmeister, Heizer und Telefonist arbeitete und hernach zwei Diplome errang - als Gesellschaftswissenschaftler in Moskau und als Ökonom in Berlin -, wird nie kapitulieren. Und vielleicht gelten eines Tages selbst in Deutschland die Worte eines Propheten. Nicht nur in dieser Hoffnung sei Günter Pappenheim zu seinem heutigen 95. Geburtstag »Sto let« gewünscht. Auf zur 100.

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