Nur ein Ablenkungsmanöver
Wer ist hier anders? Die Serie »Ramy« geht in die zweite Staffel
Die Schmerzgrenze der Gesellschaften des Globalen Nordens zur Tolerierung »Andersartiger« misst sich am Umfang zu tolerierender »Andersartigkeiten«. Es war daher zwar kurios, aber denkbar, dass Barack Obama US-Präsident wurde - schließlich ist er ein Christ mit Frau und Kindern. Hillary Clintons Kandidatur war nur dank ihres Weißseins möglich. Abweichungen von der heterosexuellen, männlich dominierten Norm verhinderen noch immer den Aufstieg in höchste US-Ämter. Und nicht nur dorthin.
Auch im Fernsehen gibt es Menschen of Color, Frauen und mitunter sogar Frauen of Color von beachtlicher Prominenz. Aber ein Muslim mit Migrationshintergrund? Da musste erst das Jahr 2019 anbrechen. Real wie fiktional heißt er Ramy Youssef, ist Sohn ägyptischer Immigranten, einigermaßen gläubig, dazu humorbegabt und auf der Suche nach Glück: Youssef versuchte es zehn Episoden lang nach eigenem Drehbuch zu finden. Damit war er - wenn schon nicht im Serienleben, so doch bei den Zugriffszahlen auf Hulu - derart erfolgreich, dass bei Starzplay nun auch in Deutschland die Fortsetzung startet.
Darin begibt sich »Ramy«, so heißt das unprätentiöse Prachtstück, auf Sinnsuche - bekommt es dabei jedoch mehr als zuvor mit den Abgründen der Gesellschaft zu tun. In seiner lustigen, leicht verwirrten Nonchalance wird sich der hippe Ramy Youssef aus New Jersey im Laufe der Serie bewusst, was es bedeuten kann, eine arabische Herkunft zu haben - und stößt umso mehr auf erbitterten Widerstand aus einer Gesellschaft, die sich den weißen Macho Donald Trump ins Weiße Haus gewählt hat.
Kein Wunder, dass Youssef zunächst vergeblich nach Orientierung sucht. Statt fünfmal am Tag zu beten, wie es der Imam seiner Moschee gern von ihm sähe, holt er sich lieber fünfmal am Tag einen runter und futtert zur Frustbewältigung unablässig Süßes. Die Beziehungsansätze der ersten Staffel mit Personen aller religiöser, sexueller und sozialer Couleur, aber auch der Tod seines Großvaters während eines Selbstfindungstrips nach Ägypten, haben ein dissoziatives Wrack Mitte 20 hinterlassen, das zum Auftakt der zweiten Staffel dringend sein Selbstmitleid in den Griff kriegen muss, bevor er auch nur wieder an Befriedigung ohne Pornos auf dem Smartphone denken kann.
Zu Hilfe kommt ihm ausgerechnet ein Prediger, der Scheich Ali, »ein radikaler Muslim«, wie ihn Youssefs frommer Freund Michael (Michael Chernus) vorstellt, zur Sicherheit aber »cool radikal, nicht radikal radikal« ergänzt. Dass ihn der Oscar-Gewinner Mahershala Ali verkörpert, macht die Schnittstelle der Serie zwischen Schein und Sein fast schon am Rande der Dokumentation glaubhaft. Religion, so zeigt sich, ist nur eines der vielen Ablenkungsmanöver - von sozialen Medien über Dating-Apps bis Online-Porno -, die Millenials wie Ramy Youssef unternehmen, um Halt, besser noch: Haltung zu finden.
Da ist es nicht bloß ein Randaspekt, dass Youssefs neue Frömmigkeit ausgerechnet seiner Familie auf den Keks geht, die selbst den sogenannten American Way of Religion pflegt: schon noch gottesfürchtig, aber eher aus Nostalgie, ohne Pflichten, Reflexion, ohne Moral - also ein bisschen wie jene Hetzer vor dem Tor der Moschee, die ihren Rassismus Tag für Tag laut als christlich tarnen, bis einer der Moscheebesucher ausrastet. Spätestens hier wird »Ramy« zum Spiegel einer Nation, in der es nur noch Schwarz oder Weiß, wir oder die, für oder gegen gibt. Dass die Serie dafür einen Teil ihrer Leichtigkeit opfert, macht sie nur noch relevanter.
»Ramy«, ab 6. August auf Starzplay
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