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Wandern durch die linke Geschichte

Die Schwarz-Roten Bergsteiger kämpfen in der Sächsischen Schweiz für eine emanzipatorische Perspektive

  • Sebastian Bähr
  • Lesedauer: 8 Min.

Eine Wandergruppe inmitten der Sächsischen Schweiz im Sommer. Touristen schätzen das sogenannte Polenztal für die bis zu 150 Meter hoch aufragenden Felswände aus Sandstein, für den namensgebenden Fluss mit Wildbachcharakter, für die früh blühenden Märzenbecherwiesen. Die mit Moos überwucherten Betonklötze, vor denen die kleine Gruppe mitten in einem Waldstück Halt macht, sind indes in den populären Wanderkarten der Region nicht verzeichnet. Die meisten Besucher würden vermutlich achtlos an ihnen vorbeigehen - die beiden Wanderführer Wolf Meyer und David Schäfer von der Bergsportvereinigung Schwarz-Rote Bergsteiger_innen (SRB) klären jedoch ihre Gäste über die Geschichte der Blöcke auf: Die in den Boden eingelassenen Fundamentreste gehören zum KZ-Außenlager Porschdorf, das letzte von drei Außenlagern des KZ Flossenbürg in der Sächsischen Schweiz. Der in der Nähe befindliche Kletterfelsen »Bahnhofswächter« diente den SS-Mannschaften vermutlich als Beobachtungspunkt.

In dem hiesigen Waldgebiet mussten 250 Zwangsarbeiter noch von Februar bis Mitte April 1945 Stollen ausheben, damit dort unterirdisch für das Nazireich Benzin hergestellt werden konnte. Die Ruine war als Platz für Kompressoren gedacht, um den Bau der Tunnelsysteme voranzubringen. Unweit der Blöcke findet man zwei weitere angefangene Stolleneingänge, teils unter Wasser und voller Insekten, jeweils nur einige Meter tief. Das Vorrücken der Alliierten machte die wahnsinnigen Nazi-Pläne der letzten Kriegsmonate zunichte, der Bau wurde abgebrochen, das Lager aufgelöst. Etwa 120 bis 130 Zwangsarbeiter kamen dennoch hier ums Leben. Geschehnisse, an die heute auch in dem Wanderidyll erinnert werden muss, sind Meyer und Schäfer überzeugt. Im Gegensatz zu lokalen Neonazis, die genau das zu verhindern suchen. »In den vergangenen fünf Jahren mussten wir an dieser Stelle drei Mal Gedenkplaketten anbringen, weil sie immer wieder entfernt wurden«, sagt Meyer.

Für den 28-Jährigen und den 34-jährigen Schäfer ist der rechte Vandalismus nichts Neues. Auch am Hirschgrund in Rathen hatten erst im Frühjahr Unbekannte eine Plakette entfernt, die an ein Treffen antifaschistischer Bergsportler zur Planung von Widerstandsaktionen erinnerte. Diese Plakette war wiederum bereits 2018 als Ersatz für eine im Dezember 2017 gestohlene angebracht worden. Eine »Materialschlacht«, wie die beiden Hobbyhistoriker sagen. Eine neue Gedenktafel mit der gleichen Aufschrift halten sie so auch schon wieder stolz in ihren Händen, die Kosten etwa 50 Euro, Mitte August soll sie befestigt werden.

Neben historischen Wandertouren und Vorträgen zur linken Geschichte der Region gehört die vielfältige Gedenkarbeit zu einem Hauptbetätigungsfeld der SRB, einer Initiative der Dresdner Ortsgruppe der »Freien Arbeiterinnen- und Arbeiter-Union«. Interessierte linke Bergsteiger fanden sich im Umfeld der anarchosyndikalistischen Basisgewerkschaft erstmals 2009 zusammen. Als Vorbild für die politischen Wandertouren diente ihnen die Arbeit des nahe gelegenen Alternativen Kultur- und Bildungszentrums (AKuBiZ) in Pirna. »Alles in der Gegend war bis dahin nur durch Auseinandersetzungen mit Neonazis geprägt, das AKuBiZ zeigte uns, dass es da noch mehr gibt«, erinnert sich Meyer. 2015 gründete sich die Gruppe offiziell, heute engagieren sich bis zu 40 Aktivisten dort. Klar ist: Für die Schwarz-Roten Bergsteiger_innen ist das Klettern nicht nur ein Freizeitsport, sondern auch eine Methode, um neue Mitstreiter zu gewinnen. Das kann durch Gespräche bei Wandertouren gelingen, durch gemeinsames Müllsammeln in der Kernzone des Nationalparks oder durch linke Sprüche in Gipfelbüchern. »Blau machen und klettern gehen ist allemal besser als blau zu wählen«, hatte Meyer zuletzt in eines geschrieben.

Der Name der SRB erinnert nicht zufällig an die »Roten Bergsteiger«, offiziell bekannt als »Vereinigte Kletterabteilung«. In den 1920er-Jahren hatten Linke - oftmals KPD-Anhänger verschiedener Strömungen - diese Gruppe gegründet, später leisteten sie Widerstand gegen den Nationalsozialismus. »Wir haben großen Respekt vor den Roten Bergsteigern, aber sehen auch Teile ihrer Geschichte kritisch«, sagt Schäfer. »Nicht wenige Funktionäre haben widersprüchliche Biografien, wir erzählen bewusst auch ihre Lebensgeschichten nach 1945.«

Ende April fanden Kletterer der SRB bei einer Tour in den sogenannten Ochelwänden zufällig ein verstecktes Archiv der KPD vom Beginn der 1930er-Jahre (»nd« berichtete). In dem von mehreren Medien und Historikern gepriesenem »Sensationsfund« stießen die Aktivisten unter anderem auf interne Briefe der Partei, in denen zum »Kampf gegen syndikalistische Umtriebe« aufgerufen wurde. Nach dem Zweiten Weltkrieg ging der Konflikt weiter. »Wir finden Indizien in einigen Akten, dass sich links-oppositionelle Wanderer in der DDR verleugnen mussten«, sagt der Dresdner Meyer. »Und auch die Geschichte unserer Vorgängerorganisation ›Freie Arbeiter Union Deutschlands‹ (FAUD) wurde im Stalinismus unterdrückt.« Man erinnere bewusst an Menschen wie den sächsischen FAUD-Illegalen Herbert Hilse, aber auch an widerständige Trotzkisten wie Gerhard und Elisabeth Grabs.

Das linke Engagement in der Sächsischen Schweiz ist derweil keine Selbstverständlichkeit. Bereits mit Beginn der 1990er-Jahre gab es in der Gegend eine gefestigte Nazistruktur, die ihren Höhepunkt in der Gründung der Skinheads Sächsische Schweiz (SSS) fand. Die Gegend war zudem jahrelang eine Hochburg der NPD, die mit der 2001 verbotenen Neonazi-Kameradschaft eng verbunden war. Heute kommt die AfD in einigen Ortschaften auf über 40 Prozent, Meldungen über rechte Übergriffe reißen nicht ab. Als die Polizei an Himmelfahrt wegen Ruhestörung in den Ort Pfaffendorf gerufen wurde, attackierten 25 Neonazis die Beamten unter »Sieg Heil«-Rufen mit Flaschen, Holzlatten und Stahlrohren. Bei einer anschließenden Durchsuchung fand man unter anderem eine Übungshandgranate und eine Panzergranaten-Attrappe. Einige der Festgenommenen waren ehemalige Mitglieder der SSS. Auch Meyer kennt die Gefahr. Rechte Parolen beim Jugendfest, eingeschmissene Scheiben bei jenen, die sich darüber beschweren. »Wenn man in der Region als Linker eine Veranstaltung anmeldet und bewirbt, hat man zehn bis 20 Neonazis auf der Matte.«

Kein Zurückziehen

Aufgeben und sich zurückziehen komme aber nicht infrage, bekräftigen die linken Wanderfreunde. Aktivisten müssten sich aber auf die Menschen vor Ort einlassen, überhebliche Großstadtarroganz könne man sich nicht leisten. »Sprachpolitik ist erst der 20. Schritt«, sagt Meyer. Das Label »Antifa« sei bei den meisten Leuten unbeliebt. Es gelte, eine Balance aus Toleranz und Vorsicht zu finden. »Es gibt hier viele politische Grauzonen, wir müssen prüfen, welches Risiko man mit einer Bekanntschaft eingeht.« Und man müsse hinnehmen, dass man »mit Menschen spricht, die auch mit Rechten Kontakt pflegen«, fügt Schäfer hinzu. Dennoch ermögliche die politische Arbeit vor Ort, seine Ideale auch auf Alltagstauglichkeit zu prüfen. »Unser Anarchismus ist bodenständig und realistisch«, so Meyer. Das bedeute, auch linken Wanderbesuchern eine deutliche Ansage zu machen, wenn sie etwa politische Graffiti auf Sandstein hinterlassen. »Da wird einfach viel an mühsam aufgebautem Vertrauen kaputt gemacht.«

Das Vertrauensverhältnis zum Sächsischen Bergsteigerbund (SBB), dem größten Bergsportverband in der Region mit 14 000 Mitgliedern und Sektion des Deutschen Alpenvereins, ist auch nicht immer unkompliziert. Zwar beruft sich der Verband in seiner Satzung auf die »Grundsätze religiöser, weltanschaulicher und ethnischer Toleranz« sowie auf die »Chancengleichheit von Frauen und Männern«. Die Schwarz-Roten Bergsteiger_innen kritisieren jedoch, dass die Verbandsführung in der Praxis versuche, an einem unpolitischen Bild des Kletterns festzuhalten und die progressiven Wandertraditionen zu ignorieren. Meyer befürchtet, dass im SBB trotz eines eigentlich humanistischen Selbstverständnisses vor allem der Erfolg des Tourismus im Vordergrund stehe. »Es geht ihnen mehr um Wirtschaftszahlen als um Kletterethik.« Dabei sei es wichtig, die Sportler zu sensibilisieren, nicht nur wegen des grassierenden Rassismus in der Gegend. In vielen Clubs gebe es noch heute kaum Frauen, auch homophobe Sprüche seien keine Seltenheit. Der SBB erklärte gegenüber »nd«, er sei politisch »neutral«. Die SRB seien »schon seit einiger Zeit« auf der Webseite vertreten gewesen.

Offizieller Anlaufpunkt

Alle Bemühungen sind jedoch begrenzt, solange die SRB keinen richtigen Anlaufpunkt haben. In verschiedenen Teilen der Sächsischen Schweiz haben sie zwar kleinere Grundstücke gekauft, gepachtet oder besetzt, aus Sicherheitsgründen können diese Orte aber nicht öffentlich beworben werden. Schon länger planen die Kletteraktivisten ein offizielles libertäres Zentrum mit einem dauerhaften Wohnort, einem Gästehaus für Wanderer, einem Café, einer Bibliothek und mehreren Veranstaltungsräumen. Eine gute Verkehrsanbindung sei dazu wichtig, nahe den Gipfeln, ein bisschen abgelegen, erläutert Meyer. Einige Objekte hatte man sich bisher schon angeschaut, aber ohne Erfolg. Der Verein steht für die Finanzierung mit dem Mietshäuser-Syndikat in Kontakt, die Gründung einer GmbH ist geplant. Doch jenseits der finanziellen, bürokratischen und geografischen Fragen sei die größte Herausforderung eine andere: »Wir brauchen weitere Mitstreiter«, sagt Schäfer.

Der Dresdner ruft linke Interessierte und Kollektive auf, sich in der Region niederzulassen. Dafür sollte man sich zwar schon ernsthaft überlegen, wie man zur ländlichen Dorfgemeinschaft Kontakt aufbauen und sich zur Not auch selbst schützen kann - Isolation sei gefährlich und sollte vermieden werden. Doch der politische Gewinn sei um einiges höher, als wenn man wie die meisten Linken einfach nach Berlin oder Leipzig zieht. »Gerade in der vermeintlichen ›Prestigeregion‹ der Neonazis hat ein Gebietsverlust an uns hohe Bedeutung«, sagt Meyer. Er will genau wie Schäfer die Hoffnung nicht aufgeben, dass sich die Machtverhältnisse in der Sächsischen Schweiz auch wieder ändern können. »Durch unsere Beschäftigung mit der Region haben wir gesehen, dass es hier eine widerständige linke Geschichte gab«, erklärt der Aktivist. Daran anzuknüpfen sei möglich. Man müsse sich vor Augen halten, dass es hier auch wieder anders sein könne.

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