Viel Pragmatismus, kaum Solidarität

Die 36 Profiklubs einigen sich auf Voraussetzungen, um wieder vor Zuschauern Fußball spielen zu dürfen

Zielorientiertes Arbeiten ist erst mal nichts Schlechtes. Bei der Beurteilung kommt es natürlich auf das Ziel an. Aber auch darauf, was auf dem Weg dahin als Ballast abgeworfen wird. Drängende Themen hat der Profifußball genug, erst recht nach den so offenbar gewordenen Schwächen seines Systems in der Coronakrise. Was den Ligaverband DFL drängt, wurde beim Blick auf die Tagesordnung der Außerordentlichen Mitgliederversammlung seiner 36 Klubs am Dienstag deutlich. Vier Anträge, allesamt vom Präsidium der DFL eingebracht, sollten die Spielordnung dahingehend ändern, dass mit Beginn der neuen Saison eine Teilzulassung von Zuschauern in den Bundesligastadien möglich wird.

Die Entscheidung darüber, wie Christian Seifert auf der Pressekonferenz mehrmals betonte, liege weiterhin bei der Politik und den lokal zuständigen Behörden. Die dafür beschlossenen Voraussetzungen teilte der DFL-Chef kurz und knapp mit. »Die Klubs verzichten bis zum Jahresende freiwillig auf Tickets für Gästefans.« Damit soll vor allem ein erhöhtes Reiseaufkommen vermieden werden. »Ebenso auf freiwilliger Basis planen die Klubs ihre Heimspiele ohne Stehplätze auszutragen.« Ein Eckpunkt, um die Abstandsregelung einzuhalten. Um unkontrollierbares Verhalten zu verhindern, werde bis 31. Oktober kein Alkohol in den Stadien ausgeschenkt. »Zudem verpflichten sich die Profiklubs, dass Infektionsketten nachvollziehbar und Personen schnell zu identifizieren sind.«

Für die Annahme der vier Anträge reichte eine einfache Mehrheit. Über die Stimmenverteilung wurden keine Angaben gemacht. Am letztlichen Beschluss gab es aber auch zuvor schon keine Zweifel. Den Mitte Juli veröffentlichten Leitfaden für eine schrittweise Wiederzulassung von Zuschauern hatte die DFL schließlich zuvor mit dem Bundesgesundheitsministerium abgestimmt. Den darauf folgenden, wohlwollenden Worten des Ministers Jens Spahn wollten die Profiklubs jetzt bestimmt nicht widersprechen. Denn das Ziel ist klar: die Geschäftsgrundlage sichern. Beim Kampf um den Neustart der vergangenen Saison im Mai ging es allein um die Spielerlaubnis. Jetzt will der Profifußball »in kleinen, wohlüberlegten Schritten zur Normalität zurückkehren«, wie Seifert erklärte. Dazu gehören Stadionzuschauer. Mit dem Kampf um deren Wiederzulassung kann sicherlich auch etwas von der in den vergangenen Monaten verlorengegangenen Akzeptanz wiedergewonnen werden.

Und die Zeit drängt. Am 18. September will die Bundesliga in die neue Spielzeit starten. Die nun vorliegenden Ergebnisse der DFL beraten die Gesundheitsminister der Bundesländer bei ihrer Zusammenkunft am 10. August. Beim Fokus auf dieses Ziel haben der Ligaverband und viele seiner Klubs aber andere, wichtige Dinge aus den Augen verloren.

So hatte es ein anderer Antrag gar nicht erst auf die Tagesordnung geschafft. Dynamo Dresden wollte, dass die Aufstockung der 2. Bundesliga auf 19 Vereine zumindest zur Abstimmung gestellt wird. Die Sachsen empfanden es als eine gravierende Wettbewerbsverzerrung, dass sie in der vergangenen Saison nach verordneter Mannschaftsquarantäne aufgrund mehrerer Coronainfektionen eine sehr viel kürzere Vorbereitungszeit als die Konkurrenten hatten und nach dem Neustart neun Spiele in 28 Tagen austragen mussten.

»Recht haben und Recht bekommen sind leider manchmal zwei verschiedene Dinge«, erklärte Dynamos Geschäftsführer Michael Born, nachdem die DFL den Antrag abgelehnt hatte. Der Verein sah danach keine erfolgversprechenden Mittel mehr, gegen den Abstieg in die Drittklassigkeit zu kämpfen.

Entsprechend enttäuscht zeigte sich auch Dresdens Sportchef Ralf Becker: »Es ist kein Geheimnis, dass wir uns bei diesem Thema sowohl von der DFL als auch von den anderen Vereinen mehr Solidarität gewünscht hätten.« Solidarität war ja eines der zentralen Schlagworte am Anfang der Coronakrise. Gemeint war damit keinesfalls eine übergeordnete, sondern nur eine das turbokapitalistische System Profifußball rettende. Dass diese dann selbst dort aber schnell endet, wo der eigene Nachteil beginnt, ist keine neue Erfahrung. Ganz aktuell aber eine bittere für Dynamo Dresden. »Dass St. Pauli einen Tag, nachdem wir feststellen mussten, dass der Abstieg unausweichlich ist, ein Positionspapier veröffentlicht, in dem es auch um Gerechtigkeit und Fairness geht«, empfand Becker als »Schlag ins Gesicht.«

Was ist ein Positionspapier wert? Nicht viel. Der 1. FC Union hatte im Oktober 2018 eine »Strukturreform« und einen »Kurswechsel« im deutschen Profifußball angeregt. Passiert ist nichts. Von März bis Mai stellte sich der Berliner Bundesligist dann bei den teilweise selbstherrlich vorgetragenen Forderungen nach der Spielerlaubnis gern auch mal in die erste Reihe. Die »wirtschaftliche Eskalation der letzten Jahre« kritisierte am Dienstag auch Christian Seifert - und sprach nach der dreieinhalbstündigen Mitgliederversammlung von »intensiven und konstruktiven Diskussionen«. Aber im Gegensatz zu den konkret vorgetragenen Zielen blieb der DFL-Chef bei der Frage nach einer gerechteren Verteilung der Medienerlöse, der Möglichkeit einer Gehaltsobergrenze oder der DFL-Taskforce »Zukunft Profifußball« sehr vage.

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