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Verstärkung für linke »Squad«: Black-Lives-Matter-Aktivistin gewinnt US-Vorwahl
Eine schwarze Krankenschwester und »alleinerziehende Mutter aus der Arbeiterklasse« wird in den US-Kongress einziehen
Die Black Lives Matter Bewegung hat erneut eine Wahl in den USA gewonnen: Die schwarze Krankenschwester Cori Bush konnte sich Dienstagnacht in der Demokratenvorwahl in St. Louis im Bundesstaat Missouri mit 48 zu 45 Prozent gegen den langjährigen Amtsinhaber und Establishment-Demokraten Lacy Clay durchsetzen. »Ihr schickt eine alleinerziehende Mutter aus der Arbeiterklasse nach Washington«, erklärte Bush in ihrer Siegesrede. Ihre Wahl im November ist quasi garantiert, weil ihr Wahlkreis seit dem Jahr 2000 immer mit über 70 Prozent für die Demokraten gestimmt hat.
Mit Bush bekommt die linke »Squad« um die demokratische Sozialistin Alexandria Ocasio-Cortez bekommt ein neues Mitglied. Die 44-Jährige setzt sich ein für einen 15 Dollar Mindestlohn, ein bedingungsloses Grundeinkommen, einen Green New Deal und eine Abschaffung der Abschiebebehörde ICE ein. Außerdem fordert sie die Einführung der staatlichen Krankenversicherung Medicare for all, massive Investitionen in Sozialwohnungen und landesweite Mietenbegrenzung. Bush war seit 2014 eine führende Aktivistin bei den Black-Lives-Matter-Protesten in Ferguson, nachdem der schwarze Teenager Mike Brown durch weiße Polizisten erschossen worden war.
2016 hatte Bush ihre ersten politischen Gehversuche unternommen, holte in der Demokratenvorwahl für den US-Senat in Missouri aber nur 13 Prozent der Stimmen. Zwei Jahre später trat sie als eine der vielen linken Kandidaten an, die inspiriert durch Bernie Sanders erste Präsidentschaftskampagne versuchten, für die Abwahl von Establishment-Demokraten im ganzen Land zu sorgen - und die dabei größtenteils scheiterten. Bush trat in Missouris 1. Kongresswahlbezirk im Westen von St. Louis gegen Lacy Clay an.
Der zur Hälfte schwarze Wahlkreis war seit 1969 von einem Mitglied der Clay-Familie vertreten worden, erst von Bill Clay, seit 2001 von seinem Sohn. Der im Bezirk bekannte Politiker gewann die Vorwahl 2018 deutlich mit 20 Prozentpunkten Vorsprung, auch weil Bush kaum Unterstützung hatte durch linke Organisationen und nur wenig Wahlkampfspenden einsammeln konnte.
Ihr Bekanntheit steigerte Bush auch, weil sie neben Ocasio-Cortez in der Netflix-Dokumentation »Knock down the House« über die Zwischenwahlen 2018 porträtiert wurde. Dieses Jahr trat die Sanders-Unterstützerin erneut an. Wie der Senator aus Vermont will sich Bush auch für die Rechte der Palästinenser einsetzen. Anders als Sanders hat sie aber auch Sympathien für die antiisraelische BDS-Bewegung geäußert. Trotzdem unterstützte Sanders sie offiziell mit einem Endorsement und einem Online-Wahlkampfauftritt per Live-Stream. Das und auch die Black-Lives-Matter-Proteste im Juni und Juli spülten ihr viel Kleinspender-Geld in die Wahlkampfkasse.
Anders als Clay, der von Großunternehmen unter anderem aus der Finanzindustrie unterstützt wurde und einen großen Teil seiner Wahlkampfgelder für Aufträge an die Anwaltskanzlei seiner Frau ausgab, beteuerte Bush, keine Großspenden annehmen zu wollen. Sie sammelte zuletzt gar mehr Geld ein als der Amtsinhaber. Damit konnte sie in den vergangenen Wochen vor der Vorwahl - anders als 2018 - eine professionelle Kampagne bezahlen und deutlich mehr Radio- und Fernsehanzeigen schalten als Clay und so auch eine Last-Minute-Schmutzkampagne des Amtsinhabers kontern.
Zudem bekam die Ex-Pastorin Unterstützung von außerhalb durch die linken Aktivisten der »Justice Democrats«, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, wirtschaftsnahe Demokraten und vom Großspendergeld korrumpierte Vertreter des Parteiestablishments durch Vorwahl-Herausforderungen aus dem US-Kongress zu drängen. Sie hatten Bush bereits 2018 unterstützt, kamen der Aktivistin, die in ihrem Leben mit Armut zu kämpfen hatte, kurze Zeit obdachlos war und im Wahlkampf an Covid19 erkrankte, dieses Mal jedoch mit 200.000 Dollar und Fernsehanzeigen zu Hilfe.
Die linke NGO »Fight Corporate Monopolies« investierte 90.000 Dollar für eine Fernsehanzeige gegen Clay, die sein Abstimmungsverhalten vor rund zehn Jahren zur eigentlich von der Obama-Regierung geplanten schärferen Regulierung von Bankberatern kritisierte, die so abgehalten werden sollten, ihre Kunden zu ihrem Nachteil zu beraten und sich so selbst zu bereichern. Auch die Gruppe »Matriach«, die Frauen aus der »working class« bei Wahlkämpfen unterstützen will, und die lokale Ortsgruppe der Democratic Socialists of America hatten Bush geholfen. »Die progressive Bewegung agiert dieses Jahr deutlich ausgeklügelter«, erklärte Sean McElwee vom linke Think Tank Data For Progress. Bush selbst, Justice Democrats und Fight Corporate Monopolies hätten zusammen fast drei Mal so viel Geld ausgegeben für Fernsehanzeigen wie Clay, so Mc Elwee.
Vor drei Wochen stürzten sich auch die Teenager-Umweltaktivisten von Sunrise Movement, die Green-New-Deal-Politiker unterstützen, in eine Telefonanruf-Kampagne. Damit riefen junge Aktivisten von überall im Land Wähler in Missouris 1. Wahlbezirk an und versuchten diese zu überzeugen, für Bush zu stimmen. »Unsere Phonebanking-Operation hat mitgeholfen sie über die Ziellinie zu hieven«, jubelten die jungen Aktivisten Dienstagnacht. Sie hatte die Gruppe, die Anfang 2019 das Büro von Demokratenführerin Nancy Pelosi besetzt hatte, die schwarzen linken Demokraten Charles Booker und Jamaal Bowman mit Tausenden Wähleranrufen unterstützt.
Der Fall Bush zeigt, dass die Parteilinke mit professionellem Wahlkampf nicht nur unter politisch günstigen Bedingungen erfolgreich sein kann. Alexandria Ocasio-Cortez oder Jamaal Bowman gewannen gegen langjährige weiße Amtsinhaber in Wahlbezirken, in denen people of color mittlerweile die Mehrheit der Wähler stellen. Anders als im Fall Bowman war Bushs Gegner zudem ein skandalfreier Politiker, der sich keine schweren Schnitzer im Wahlkampf erlaubte. Die Parteilinke Marie Newman, die im März wie Bush im zweiten Anlauf einen Vorwahlsieg erreichte, konnte gegen einen der letzten im Repräsentantenhaus verbliebenen konservativen Demokraten mobilisieren, der etwa Schwangerschaftsabbrüche ablehnt.
Eine ideologische Herausforderung war gegen Clay nur begrenzt möglich, weil dieser relativ linksliberal ist, so etwa in Bürgerrechtsfragen. Er unterstützt zudem die Einführung der staatlichen Krankenversicherung Medicare For All und einen Green New Deal. Der 64-Jährige ist auch Mitglied der Parteilinkenvereinigung »Progressive Caucus«, die immer wieder von links als zu kompromissorientiert gegenüber Parteiführung und Demokraten-Establishment kritisiert wird.
Vor allem aber ist Clay ein »Institutionalist« und kein aktivistischer Parlamentarier. Ende Juni noch verkündete er stolz seine Mitarbeit bei der erfolgreichen Verabschiedung eines Gesetzes zu Polizeireformen. Clay ist - anders als beispielsweise Ocasio-Cortez - nicht als öffentlichkeitswirksam eine linke Agenda vorantreibender Bewegungspolitiker aufgefallen. Er war einer der Politiker des mit dem Parteiestablishment verbündeten »Black Caucus«, die in den vergangenen zwei Jahren suggerierten, die progressiven Aktivisten um die »Justice Democrats«, die auch schwarze Establishment-Kandidaten herausfordern, seien Rassisten. 2014 verhöhnte er Black-Lives-Matter-Demonstranten, als er aufgefordert wurde, sich an die Seite derer zu stellen, die in Fergusons Straßen protestierten: »Diese Menschen wählen nicht.«
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