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Trauerfeier für Deutsch-Iraner Scharmahd in Berlin
Auch nach Autopsie bleiben die Umstände des im Iran zum Tode verurteilten Dschamschid Scharmahd weiter unklar
Ende Oktober 2024 ist der deutsch-iranische Doppelstaatler Dschamschid Scharmahd im Iran hingerichtet worden. Erklärten damals zumindest die iranischen Justizbehörden. Nur wenige Tage später hieß es: Stimmt nicht, Scharmahd sei im Gefängnis gestorben. Wie und unter welchen Umständen, gaben die Behörden nicht bekannt, ließen die trauernde Familie so in einem Zustand unerträglicher Ungewissheit.
Selbst eine Autopsie hat keine Klarheit gebracht, wie der 69-jährige Scharmahd ums Leben gekommen ist. Seine Leiche sei im Februar aus dem Iran nach Deutschland überführt worden, bestätigte die Pressestelle von Amnesty International Deutschland gegenüber »nd«. Im Februar hatte die Nachrichtenagentur AFP berichtet, dass die Überführung des Leichnams nach Aussagen des Auswärtigen Amtes »das Ergebnis intensiver diplomatischer und konsularischer Bemühungen auf verschiedenen Ebenen« gewesen sei. Nach Angaben eines Sprechers der mit den Ermittlungen beauftragten Brandenburger Staatsanwaltschaft seien die sterblichen Überreste obduziert worden.
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Warum die Obduktion aber keinen Aufschluss über die Todesursache erbrachte, wurde erst an diesem Freitag deutlich, als Teilergebnisse öffentlich gemacht wurden. So konnte die Todesursache unter anderem deshalb nicht festgestellt werden, schreibt Amnesty Deutschland auf der Plattform X, »weil dem Leichnam, der vom Iran überstellt wurde, Herz, Schilddrüse, Zunge und Kehlkopf entfernt wurden«. Diese von den iranischen Behörden veranlasste Verstümmelung des Leichnams muss für die Angehörigen ein schwerer Schlag sein und gibt Anlass zu zahlreichen Spekulationen, was durch die Entfernung dieser Körperteile vertuscht werden sollte.
»Wir fordern die Bundesanwaltschaft angesichts der Autopsie-Ergebnisse auf, endlich Strafverfahren einzuleiten« gegen die verantwortlichen iranischen Beamten, erklärte Julia Duchrow, Generalsekretärin von Amnesty International in Deutschland, in einer Pressemitteilung. Bei ausreichenden Beweisen sollten Haftbefehle gegen diejenigen erlassen werden, »die der strafrechtlichen Verantwortung für alle Verbrechen gegen Dschamschid Scharmahd, einschließlich Verschwindenlassen und Folter, verdächtigt werden«. Ursachen und Umstände seines Todes müssten »unabhängig, unparteiisch und effektiv« untersucht werden. Außerdem sollten jene iranischen Beamten, »die vorsätzlich Beweise manipuliert oder vernichtet haben, die die deutschen Behörden möglicherweise daran gehindert haben, Informationen über Dschamschid Scharmahds Tod feststellen zu können, ermittelt werden«. Duchrow forderte, alle Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen.
An diesem Freitag konnten die Familie sowie Freunde und Weggefährten endlich Abschied nehmen von Dschamschid Scharmahd, knapp ein halbes Jahr nach seinem Tod. Die Trauerfeier fand in einem Bestattungsinstitut in Berlin-Neukölln statt, anwesend waren unter anderem seine Tochter Gazelle und sein Sohn Shayan, die beide in den USA leben, aber auch verschiedene Politiker wie Cem Özdemir (Grüne), geschäftsführender Bundesminister der Ressorts Landwirtschaft und Bildung, sowie Berlins stellvertretende Regierungschefin Franziska Giffey (SPD). Für den Freitagabend plant eine iranische Oppositionsgruppe am Brandenburger Tor eine Solidaritätskundgebung für alle politischen Gefangenen im Iran.
Dschamschid Scharmahd war im Frühjahr 2023 in einer Art Schauprozess ohne rechtsstaatliche Standards wegen dubioser Terrorvorwürfe zum Tode verurteilt worden. Angehörige und Menschenrechtler wiesen die Anschuldigungen gegen ihn vehement zurück. Scharmahd war lediglich in einer iranischen Exil-Oppositionsgruppe aktiv, die sich aus dem Ausland für den Sturz des iranischen Regimes einsetzt. Auch die Umstände seiner Verhaftung sind spektakulär. Im Sommer 2020 war er unter mysteriösen Umständen während einer Reise aus Dubai in den Iran verschleppt worden, nach verschiedenen Hinweisen durch den iranischen Geheimdienst. Seitdem saß er in Isolationshaft, bis zu seiner Ermordung im Oktober 2024.
Als Reaktion auf Scharmahds Tod hatte die Bundesregierung den deutschen Botschafter vorübergehend zu Konsultationen nach Berlin zurückbeordert und alle drei iranischen Generalkonsulate in Deutschland geschlossen. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) begründete den Schritt damals mit dem »menschenverachtenden Agieren« der iranischen Führung.
Seine Tochter Gazelle Scharmahd warf der Bundesregierung aber immer wieder vor, nichts oder nicht genug für die Freilassung ihres Vaters getan zu haben, und wiederholte diese Vorwürfe auch bei der Trauerfeier. Bereits im Juni 2023 hatte sie eine Klage bei der Bundesanwaltschaft eingereicht, unterstützt von der Menschenrechtsorganisation ECCHR (European Center for Constitutional and Human Rights) mit Sitz in Berlin. Das Ziel war, die mutmaßlichen Verantwortlichen, acht hochrangige Mitglieder aus den Reihen von Justiz und Geheimdienst des Iran, zur Verantwortung zu ziehen.
Dafür sollte die Bundesanwaltschaft zu Ermittlungen bewegt werden – gemäß dem Weltrechtsprinzip, wonach schwere Menschenrechtsverbrechen weltweit auch von der deutschen Justiz verfolgt werden könnten, erklärte ECCHR-Generalsekretär Wolfgang Kaleck. Mit der Kategorisierung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit könne die Bundesanwaltschaft systematische Ermittlungsverfahren gegen staatliche Unrechts- und Repressionsstrukturen im Iran einleiten – über den Einzelfall hinaus. Damit werde auch eine Aufarbeitung der Verbrechen von Polizei und Geheimdienst bei der Niederschlagung der »Frau, Leben, Freiheit«-Revolte gegen das Regime möglich.
Die Anklagepunkte lauteten seinerzeit auf Folter, Verschwindenlassen und schwere Freiheitsberaubung. Die Schwere der Vergehen und die Systematik ihrer Anwendung durch iranische Behörden erfüllten den Straftatbestand eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit, erläuterte Patrick Kroker vom ECCHR. Die deutsche Justiz hätte sogar wegen Verschleppung, Geiselnahme und schwerer Freiheitsberaubung ermitteln müssen, ergänzte Kroker, da es sich bei Dschamschid Scharmahd um einen deutschen Staatsbürger handelte. Heute wissen wir, das daraus nichts wurde.
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