Technikattacke auf den Klimaschutz

Im neuen Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD kommt Klimschutz nur noch ganz am Rande vor

  • Jörg Staude und David Zauner
  • Lesedauer: 6 Min.
Vergeblicher Protest: Der Koalitionsvertrag sieht im Klimaschutz keine Priorität.
Vergeblicher Protest: Der Koalitionsvertrag sieht im Klimaschutz keine Priorität.

Im Sondierungspapier und in der Vorlage der Klima-Energie-Arbeitsgruppe hatte es sich schon abgezeichnet, am Mittwoch wird es endgültig klar: Klimaschutz hat jetzt hinter Wirtschaft und Wachstum zurückzutreten und wird durch Technikeuphorie ersetzt. Bei der offiziellen Präsentation des Koalitionsvertrags schafft es CDU-Chef Friedrich Merz nur bis zum Stichwort Energie: Die Gaspreisumlage werde abgeschafft und die Stromsteuer aufs europäische Mindestniveau verringert, auch Netzentgelte würden sinken, zählt Merz die – bereits bekannten – Punkte auf, auf die man sich geeinigt hat.

SPD-Vorsitzender Lars Klingbeil krempelt als nächster bildlich die Ärmel hoch. »Die Bagger müssen arbeiten und die Faxgeräte entsorgt werden«, malt er die Zukunft in Deutschland aus. CSU-Chef Markus Söder steigert sich in eine wahre – er gebraucht das Wort tatsächlich – »Technikattacke« hinein und zählt seine Lieblingsvisionen auf: Gigafactorys, Fusionsreaktor, Hyperloop und ein Super-Hightech-Ministerium. Mit letzterem meint Söder offenbar das neue Digitalministerium. Wer mit dem Begriff Hyperloop nichts anfangen kann: Das ist eine luftleere Röhre, durch die Menschen in Kapseln mit mehreren Hundert Stundenkilometern geschleust werden. Ein Albtraum für jede Umweltbilanz.

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Möglicherweise muss Söder auch das Scheitern der AKW-Wiederanfahrpläne verkraften – einer der wenigen Lichtblicke im Vertrag. Dafür lässt es sich der CSU-Chef nicht nehmen, die Erfüllung zweier anderer zentraler Wahlversprechen zu verkünden: Das Bürgergeld und das Heizungsgesetz würden abgeschafft und durch »effizientere Systeme« ersetzt. Das mit dem Abschaffen des Heizungsgesetzes steht auch so im Koalitionsvertrag, allerdings gefolgt von dem Satz: »Das neue GEG machen wir technologieoffener, flexibler und einfacher.« In Wahrheit wird das Heizungsgesetz, rechtlich eine Novelle des Gebäudeenergiegesetzes (GEG), also ein weiteres Mal novelliert.

Der Vierten im Bunde, der SPD-Vorsitzenden Saskia Esken, bleibt es bei der Präsentation des Koalitionsvertrags vorbehalten, das Wort Klima zu erwähnen. Man werde viel in Klimaschutz investieren, damit die Gesellschaft 2045 klimaneutral werden kann, sagte sie. Wirklich Neues zur Klimapolitik kann auch Esken nicht verkünden. Der fertige Koalitionsvertrag wiederholt größtenteils, was schon im Arbeitspapier der Klima-Energie-Arbeitsgruppe steht. So soll der Bau von 20 000 Megawatt neuer Gaskraftwerke an alten Standorten angereizt werden, das Mehrangebot soll auch für sinkende Strompreise gut sein.

Weitere wiederkehrende Stichworte sind: Industriestrompreis, schnelle Verabschiedung eines Gesetzespakets zur CO2-Abscheidung und ‑Speicherung (CCS) – vor allem für schwer vermeidbare Emissionen der Industrie und für Gaskraftwerke. Ein Pro-Kopf-Klimageld kommt im Vertrag nicht vor. CO2-Kosten sollen an Haushalte und Wirtschaft zurückfließen durch eine pauschale Entlastung beim Strompreis und durch die Förderung von Investitionen in Klimaneutralität. Wenn also jemand das eigene Haus wärmesaniert und dafür Förderung bekommt, ist das für Schwarz-Rot eine Art Klimageld.

Viel Raum nehmen im schwarz-roten Koalitionsvertrag Kaufanreize für E‑Mobilität ein. Geplant sind die steuerliche Begünstigung von E‑Dienstwagen, Sonderabschreibungen für E‑Fahrzeuge, eine Kfz-Steuerbefreiung für E‑Autos bis 2035 und ein Social-Leasing-Programm für E‑Autos aus Mitteln des EU-Klimasozialfonds. Aber auch klimapolitisch unwirksame Plug-in-Hybride sollen wieder gefördert werden.

Richtig fatal wird es im Koalitionsvertrag für den Klima- und Transformationsfonds (KTF). Dieser wird zum finanzpolitischen Steinbruch. So soll künftig auch die Elektrifizierung und Digitalisierung der Bahn aus dem KTF bezahlt werden. Die Effizienz der Mittelvergabe durch den KTF soll steigen. »Kleinstprogramme« mit weniger als 50 Millionen Euro Fördervolumen sollen auslaufen. Vor allem aber verliert der Fonds seinen Sonderstatus im Haushalt. Zwar erhält der KTF aus dem kürzlich beschlossenen Sondervermögen jedes Jahr Mittel von rund zehn Milliarden Euro, alle Einnahmen des KTF sollen aber »grundsätzlich dem Gesamthaushalt zur Verfügung stehen«, heißt es im Koalitionsvertrag. Anders gesagt: Hat die Regierung irgendwo ein Finanzloch, kann sie sich im KTF bedienen.

Aus Sicht von Klima- und Naturschutz haben CDU, CSU und SPD einen »Hochrisiko-Vertrag« abgeschlossen.

Olaf Bandt 
Vorsitzender des Umweltverbands BUND

Schließlich will Deutschland künftig ganz offiziell staatliche Klimapolitik zulasten Dritter betreiben. Die deutschen und europäischen Klimaziele sollen, heißt es im Koalitionsvertrag, auch durch Anrechnung negativer Emissionen sowie in »begrenztem Umfang durch hochqualifizierte und glaubwürdige CO2-Minderungen in außereuropäischen Partnerländern« erreicht werden. Das soll der Regierung vor allem helfen, in der klimapolitisch schwierigen Dekade von 2030 bis 2040 bei den Prognosen gut dazustehen.

Das Klimaziel der EU für 2040 – eine 90-prozentige CO2-Reduktion gegenüber 1990 – will die Koalition laut Vertrag nur dann unterstützen, wenn Deutschland nicht mehr reduzieren muss als mit dem deutschen Klima-Zwischenziel für 2040 vorgesehen. Dieses liegt bei minus 88 Prozent gegenüber 1990. Als weitere Bedingung für die Zustimmung zum 90-Prozent-Ziel der EU steht im Koalitionsvertrag: Deutschland muss sich eine CO2-Reduzierung durch »hochqualifizierte, zertifizierte und permanente Projekte« im Umfang von bis zu drei Prozentpunkten in außereuropäischen Partnerländern anrechnen dürfen.

Einer Koalition, die maximal vier Jahre bis 2029 regiert, kann es natürlich egal sein, wie Deutschland 2040 sein Klimaziel erreicht. Politisch wichtig ist nur, dass Deutschland sich auf dem Papier einen »Klima-Puffer« zulegen kann, um als größter Emittent Europas das 90-Prozent-Ziel nicht in Gefahr zu bringen. So ein »Puffer« widerspricht allerdings dem internationalen Klimarecht. Anders als im Koalitionsvertrag vorgesehen müsse das EU-Zwischenziel »vollständig innerhalb der eigenen Grenzen erbracht werden«, betonte Ottmar Edenhofer, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, am Mittwoch. Klimaschutz-Anstrengungen in außereuropäischen Partnerländern auf Grundlage von Artikel 6 des Paris-Abkommens müssten »zusätzlich« erbracht werden.

Die Anrechnung fragwürdiger Projekte zur Emissionsreduktion im Ausland auf die Klimaziele lehnt auch Olaf Bandt ab. Für den Vorsitzenden des Umweltverbands BUND haben CDU, CSU und SPD aus Sicht von Klima- und Naturschutz einen »Hochrisiko-Vertrag« abgeschlossen. Bandt kritisiert auch die Absichten im Koalitionsvertrag, die Öffentlichkeitsbeteiligung sowie die Umweltinformations- und Verbandsklagerechte einzuschränken. Damit lege die neue Regierung die Axt an demokratische Grundfesten und beschneide Mitwirkungsrechte.

Für Greenpeace-Vorstand Martin Kaiser will die Koalition dieselben Marktkräfte entfesseln, die in den letzten Jahrzehnten Klima und Natur zerstört haben. Zwar werde in nie dagewesenem Umfang Geld verteilt, Effizienz und Klimagerechtigkeit gerieten aber in vielen Bereichen aus dem Blick, sagte Kaiser. »So wird Klimaschutz unnötig teuer und langsam. Union und SPD gefährden damit die ökologischen Lebensgrundlagen und unser aller Sicherheit.«

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