Außen- und Verteidigungspolitik: »Strategische Instrumente«

Verräterische Formulierungen im Kapitel zur Außen- und Verteidigungspolitik des Koalitionsvertrags

Sieht aus wie Satire, ist aber ernst gemeint: Die Börsen-Zeitschrift »Der Aktionär« bewirbt die Rüstungsindustrie.
Sieht aus wie Satire, ist aber ernst gemeint: Die Börsen-Zeitschrift »Der Aktionär« bewirbt die Rüstungsindustrie.

Spätestens nach der Grundgesetzänderung zwecks Ermöglichung unbegrenzter Kreditaufnahmen für die »Verteidigung« mit den alten Bundestagsmehrheiten war klar, wohin die Reise mit der künftigen Regierung gehen wird. Sie wird die innen- und außenpolitische Zeitenwende fortschreiben, deren Hauptziel die Kriegstüchtigwerdung der Nation ist. Im Koalitionsvertrag sind die Prioritäten im Kapitel zur Außen- und Verteidigungspolitik klar gesetzt – und lassen sich an der Wahl der Formulierungen ablesen. Bei Prioritärem heißt es: »Wir werden« – zum Beispiel: »sämtliche Voraussetzungen schaffen, damit die Bundeswehr die Aufgabe der Landes- und Bündnisverteidigung uneingeschränkt erfüllen kann«. Das »Bekenntnis zur Nato und zur EU« bleibe »unverrückbar«, ebenso das zu den USA.

Wenn es hingegen um die Bekämpfung von Armut, Hunger und Ungleichheit geht, dominieren weiche Vokabeln. Man will sich »engagieren«, sich für die Erreichung der internationalen Nachhaltigkeitsziele und des Pariser Klimaschutzabkommens »einsetzen«. In der sicherheits- und migrationspolitischen Zusammenarbeit mit dem »wichtigen strategischen Partner« Türkei ist eine Verbesserung der dortigen rechtsstaatlichen und menschenrechtlichen Situation »ein zentrales Element«.

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Die Koalitionäre geben die »Bewahrung und Weiterentwicklung der regelbasierten internationalen Ordnung« und von der Verteidigung demokratischer Werte als großes Ziel aus. Doch in der Folge tauchen verräterische Formulierungen auf. Von »wertegeleiteter Interessenpolitik« ist die Rede, wenn es um die Zusammenarbeit mit Ländern des Globalen Südens geht. Die Rüstungsexportpolitik soll stärker »strategisch ausgerichtet« werden. Und die auswärtige Kultur- und Bildungspolitik wollen Union und SPD »als geopolitisches Instrument noch wirkungsvoller an unseren Werten und Interessen ausgerichtet einsetzen«.

In den nichtmilitärischen außenpolitischen Passagen des Papiers wird vom Bund finanzierten Einrichtungen im Ausland vorgeschrieben, dass sie noch eindeutiger ein »strategisches Instrument im globalen Wettbewerb um Ansehen, Einfluss, Narrative, Ideen und Werte« zu sein haben. Und dass sie den »Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort Deutschland« stärken sollen. Kultur- und Bildungspolitik wird als »Element der Soft Power Deutschlands« betrachtet, das man »gezielt weiterentwickeln« will.

So weit, so normal? Jede Nation nutzt ihre Kulturinstitutionen im Ausland in der beschriebenen Weise. Doch würde etwa der Kreml so etwas formulieren, hätten deutsche Medien und Politiker dies umgehend als infame Propaganda- und Destabilisierungsstrategie, gar als »hybride Kriegsführung« gebrandmarkt. Deutsche Medienschaffende, deren Beiträge als »russlandfreundlich« markiert werden, gelten als Propagandisten Moskaus, als mindestens beeinflusst, dass sie von dort finanziert werden, wird öffentlich rufschädigend behauptet.

Die künftigen Regierungspartner sehen Deutschland als militärische Führungskraft Europas. Die Bundesrepublik soll »als zentrale Drehscheibe der Nato weiter ausgebaut werden«. Der Aufstellung, personellen und technischen Ausstattung und Finanzierung der dauerhaft in Litauen stationieren deutschen Brigade wird Priorität zugemessen. Sie sei »unser zentraler Beitrag für Abschreckung und Verteidigung an der Nato-Ostflanke«.

»Nur wer sich zum nuklearen Tabu bekennt, kann glaubhaft die gefährliche nukleare Machtdemonstration Russlands kritisieren.«

Lars Pohlmeyer Friedensorganisation IPPNW

Auffällig kurz ist der Absatz im Vertrag, in dem die Koalition mitteilt, »an der nuklearen Teilhabe innerhalb der Nato« festhalten zu wollen. Diese sei »integraler Baustein der glaubhaften Abschreckung«. Kein Wort zu Überlegungen, mehr eigene europäische oder gar deutsche Atomwaffen herzustellen und zu stationieren. Derzeit sind rund 20 US-Atomsprengköpfe in Deutschland stationiert.

Die Friedensnobelpreisträgerorganisation IPPNW (Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs) äußerte sich enttäuscht über das Festhalten an der nuklearen Abschreckungsdoktrin und verurteilte die geplante massive Erhöhung der deutschen Militärausgaben. Die Bundesregierung und die EU-Staaten gäben »bereits jetzt in einem gigantischen Maß Geld für Militarisierung aus«, heißt es in einer Erklärung vom Freitag. Zugleich werde eine notwendige Debatte »um Rolle, Struktur und ausreichende Finanzierung internationaler Sicherheitsstrukturen wie UN und OSZE vernachlässigt«. Tatsächlich finden sich im Koalitionsvertrag lediglich Absichtsbekundungen zur Stärkung der Vereinten Nationen und der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa.

Zur nuklearen Abschreckung erklärte IPPNW, diese könne »niemals eine verantwortungsvolle oder nachhaltige Sicherheitsstrategie sein«. Sie bedeute letztlich »die Bereitschaft, Massenvernichtungswaffen gegen Zivilbevölkerungen einzusetzen«. »Nur wer sich zum nuklearen Tabu, zur atomaren Nichtverbreitung und zur Abrüstungsverpflichtung aus dem Nichtverbreitungsvertrag bekennt, kann glaubwürdig die gefährlichen nuklearen Machtdemonstrationen Russlands kritisieren«, betonte der IPPNW-Vorsitzende Lars Pohlmeier.

In Sachen Wehrdienst hat sich offenbar die auf ein freiwilliges Modell nach schwedischem Vorbild setzende SPD durchgesetzt. Allerdings heißt es im Koalitionsvertrag, der Militärdienst solle »zunächst« auf Freiwilligkeit basieren. Zugleich will man die Truppe »noch stärker im öffentlichen Leben« verankern und die Tätigkeit der Jugendoffiziere an Schulen fördern.

Im Hochschulbereich will die künftige Koalition offenbar Druck machen, dass Zivilklauseln auf breiter Front fallen, damit »zivil-militärische Forschungskooperationen« nicht weiter behindert werden. Dies passt zu den Aussagen zur Rüstungsexportpolitik. Sie soll stärker als bisher »an unseren Interessen in der Außen-, Wirtschafts- und Entwicklungspolitik« ausgerichtet werden. Und »der deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie« sowie ihren Partnern »Verlässlichkeit« geben.

Und wenn an autoritäre Regime gelieferte Waffen »zur internen Repression oder in Verletzung des internationalen Rechts eingesetzt werden«? Solche Ausfuhren »lehnen wir grundsätzlich ab«, heißt es im Vertrag. Im Einzelfall kann man auch mal ein Auge zudrücken, dürfte damit gemeint sein.

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