Der lange Sturz des Libanon

Von Unabhängigkeit zu Bürgerkrieg: In der Geschichte des Zedernstaats spiegelt sich die gesamte Region

  • Karin Leukefeld
  • Lesedauer: 4 Min.

In einem Bericht des US-Generalkommandos von 1957 zu der Frage, ob man dem Libanon Militärhilfe leisten sollte, heißt es: »Der Libanon besitzt einen der besten Häfen und Kommunikationszentren an der Küste des östlichen Mittelmeers und eignet sich für Luftwaffenbasen.« Zudem würden die »meisten Ölpipelines, die das Öl vom Persischen Golf und aus dem Irak bringen, in Mittelmeerhäfen im Libanon enden«. 1958 eskalierte ein politischer Machtkampf im Land zum Bürgerkrieg und führte zu einer kurzzeitigen Invasion der USA. Die Zeit danach bis 1970 beschreibt Fawwaz Traboulsi, Professor für Geschichte und Politik an der Amerikanischen Universität in Beirut, in seiner »Geschichte des modernen Libanon« als eine Zeit, in der »die Unabhängigkeit des Staates« im Mittelpunkt steht. Es habe Verfassungsänderungen und politische Reformen gegeben, die weniger Bemittelten, zumeist ausgegrenzten Muslime der ländlichen Gebiete, die zahlenmäßig inzwischen die christliche Bevölkerung überholt hatten, seien mehr einbezogen worden.

Der Bürgerkrieg von 1975 bis 1990, einhergehend mit der israelischen Besatzung 1982, und ein weiterer Krieg mit Israel 2006 vertieften jedoch die zuvor im Hintergrund entstandenen Konflikte zwischen denen, die man heute im Libanon »die Eliten« nennt. Reiche Großfamilien, Landbesitzer, die für den Westen oder die Golfstaaten zuverlässige Ansprech- und Handelspartner waren, gewannen an Macht und wurden immer reicher. Konflikte entstanden dort, wo man keine Einigkeit über die politische Ausrichtung oder Wirtschaftsprojekte erzielen konnte. In diesem Klima entwickelten sich staatliche Strukturen, die Bildung und Gesundheit sowie Leben und Arbeiten der Bevölkerung verbessern sollten, nur dem Namen nach. Die besitzlose Bevölkerung folgte ihrer Religionsgruppe und den Eliten, um versorgt zu werden. Parallel zu Christen und Sunniten fanden die schiitischen Muslime in der Amal-Bewegung und der später entstandenen Hisbollah ihre Sponsoren.

Vor dem Krieg in Syrien stabilisierte sich die wirtschaftliche Lage in der Region. Mit Beginn des Krieges 2011 wurde der Libanon vor eine Zerreißprobe gestellt. Die inneren Konflikte nahmen zu, die »Eliten« um die westlich orientierten Großfamilien und um Saad Hariri unterstützten die bewaffneten Regierungsgegner in Syrien und wurden dabei wiederum von Europa, den USA und den Golfstaaten unterstützt. Die libanesische Hisbollah und ihre Anhänger stellten sich auf die Seite der syrischen Regierung. Mit Hilfe des Iran und Russlands konnte Syrien weite Teile des Landes wieder unter Kontrolle bringen.

Die westliche Seite und die Golfstaaten waren zerstritten, Syrien, der Iran und Russland gestärkt. Im Libanon hatte die Hisbollah ihre politische Position bei zwei Wahlen verbessern können, nicht zuletzt weil sie den Krieg vom Libanon fernhalten konnte. Nicht verhindert werden konnte die Ankunft von mehr als einer Million syrischer Flüchtlinge im Libanon, die - trotz Versorgung durch die Vereinten Nationen und private Hilfsorganisationen - das Land und die Wirtschaft erheblich belasteten. 2016 zog das Bündnis um die Hisbollah bei den Wahlen mit deutlicher Mehrheit ins Parlament ein. Das weiterhin geltende konfessionell gebundene System mit einem christlichen Präsidenten und einem sunnitischen Premierminister allerdings verhindert politische Reformen bis heute. Zunehmend dehnten sich die gegen Syrien verhängten US- und EU-Sanktionen und Verbote auch auf den Libanon aus. Die enge Verbindung beider Länder - verbunden mit engen Beziehungen des Libanon zum Iran - nahm US-Außenminister Mike Pompeo im März 2019 in Beirut zum Anlass, dem Land offen zu drohen.

Wenn der Handel mit Syrien nicht eingestellt und die Terrororganisation Hisbollah nicht entmachtet würde, werde auch der Libanon mit Sanktionen und Strafen zu rechnen haben, so Pompeo. Die längst entstandene Wirtschaftskrise wurde so noch mal verstärkt. US-Dollar, von der US-Notenbank zurückgehalten, wurden knapp und nicht mehr ausgezahlt. Der Import wurde erschwert, die Waren verteuerten sich.

Hilfe bot China vor wenigen Wochen an, als eine vom chinesischen Botschafter in Beirut geleitete Wirtschaftsdelegation dem Land den Ausbau des Energie- und Transportsektors vorschlug. Die Regierung um Hassan Diab konnte sich nicht einigen, das Angebot anzunehmen. Die Zerstörung des Hafens von Beirut durch die gigantische Explosion am Dienstag hat nun sowieso erst einmal alle Versuche, das Land von innen heraus zu stabilisieren, zunichte gemacht.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -