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Hallo Feindbild, wir wollen kaufen!
Kreuzberger Hausprojekte fordern die Deutsche Wohnen heraus.
Es gibt derzeit keine Rekommunalisierung unter Berücksichtigung von Mitbestimmung oder gar Selbstverwaltung», sagt Yvonne, Mieterin im Block 89, einem Zusammenschluss von vier einst besetzten und zwei gewöhnlichen Miethäusern an Kohlfurter Straße und Fraenkelufer, idyllisch gelegen am Landwehrkanal in Berlin-Kreuzberg. Derzeit gehören die einst landeseigenen Gebäude der Deutsche Wohnen - Feindbild Nummer 1 unter Berliner Mieteraktivisten. Und auch im Block 89 haben sie die Schnauze voll von überhöhten Mieten bei gleichzeitig vernachlässigter Instandhaltung, beides bekanntlich das Markenzeichen der Deutsche Wohnen.
Eine naheliegende Rekommunalisierung der Häuser scheint dennoch keine Option zu sein. Man habe «deutlich gespürt, dass die sechs Berliner Wohnungsbaugesellschaften nicht willens sind, so einen Weg zu gehen», berichtet Yvonne, die wie alle Mieterinnen und Mieter nur mit ihrem Vornamen genannt werden möchte. Nun haben sich die - Kinder nicht mitgezählt - rund 70 Bewohner von drei der sechs Häuser des Block 89 in einem Brief an die Deutsche Wohnen gewandt. «Wir wollen mit Hilfe einer Genossenschaft selber kaufen», erklärt Yvonne. Letztlich bleibe ihnen auch kaum anderes übrig, «weil der Senat für uns überhaupt nicht erkennbar Verantwortung übernimmt, bezahlbaren Wohnraum im Innenstadtbereich für Bestandsmieter zu sichern».
Mehrmals hätte sich in den letzten Jahrzehnten die Möglichkeit ergeben, das Haus zu erwerben. Die Mehrheit der Bewohner wollte damals allerdings bewusst Mieter bleiben, weil sie prinzipiell kein Interesse daran haben, Eigentümer zu werden. Auch wollten sie stadt- und mietenpolitisch aktiv bleiben. «Anfang der 2000er Jahre, als absehbar war, dass die landeseigene GSW möglicherweise verkauft werden würde, waren wir erneut in Verhandlungen über einen Erbpachtvertrag», berichtet Ralf. Der Besetzer der ersten Stunde von 1981, der immer noch dort lebt, betont aber auch, dass sich an der grundsätzlichen Position nichts geändert hatte.
Doch inzwischen legt der mit über 110 000 Wohnungen größte Vermieter Berlins die Daumenschrauben an. «Wir haben alte WG-Mietverträge. Das heißt: Ohne Neuverhandlung des Vertrags können Mitbewohnerinnen und Mitbewohner ein- und ausziehen und es kommt auch nicht zu einer Mieterhöhung durch einen neuen Vertrag», berichtet Victor über sein Wohnhaus, die Kohlfurter Straße 40. «Wir machen einen Topf und zahlen nach Selbsteinschätzung Mieten nach Einkommen», so Victor.
Gerade in der Coronazeit habe dieses solidarische Prinzip einigen Bewohnern, denen die Einkünfte weggebrochen waren, Sicherheit gegeben. «Das war mit der GSW ziemlich unproblematisch, doch die Deutsche Wohnen stellt sich immer an und verlangt die unmöglichsten Nachweise», sagt Johannes. «Wir zahlen seit über 30 Jahren pünktlich und vollständig die Miete, es gibt überhaupt keinen Anlass für diese Schikanen», unterstreicht der Lehrer. In diesem Punkt konnten sich die Bewohner vor Gericht durchsetzen.
Der Erhalt der derzeitigen Miethöhe gab dem Kollektiv in den letzten 30 Jahren häufig Anlass, vor Gericht zu ziehen. «Aktuell versucht die Deutsche Wohnen, die Mieten über die Höhe des Mietspiegels hochzutreiben», berichtet Victor. Die Durchführung nötiger Reparaturen müsse hingegen erzwungen werden. Das sei zeitraubend und nervenzehrend. «Zum Teil leidet die Substanz unter den verschleppten Maßnahmen.»
Im Vorfeld der großen Mieterdemo im April 2019 umwickelten die Bewohner den ganzen Häuserblock mit einem Transparent. «Darum: Deutsche Wohnen & Co enteignen - die Häuser denen, die drin wohnen» stand dort. Und: «Wo Profit und Rendite draufsteht, steckt Verdrängung und Obdachlosigkeit drin.» Das Transparent zog schließlich um - an die Fassade eines Häuserblocks der Genossenschaft Luisenstadt eG an der Ecke Manteuffelstraße und Oranienstraße, deren Bewohner sich mit dem Block 89 solidarisch erklärten. Das Transparent war nun von jedem Zug der Hochbahn sehr gut zu lesen.
Zum Frühlingsanfang vor 39 Jahren, am 21. März 1981, begann die Besetzung der Kohlfurter Straße 46. Das Haus Nummer 40 war schon zuvor besetzt. «Es gab viel Leerstand in Berlin», erinnert sich Ralf. «Wir waren Frauen und Männer, die sich von den Protesten gegen das damals geplante Atommüll-Endlager Gorleben kannten oder aus Schule, Jugendzentren, Ausbildung.» Spannend sei die Besetzung gewesen, «aber nicht groß gefährlich». Schließlich gab es damals die Doktrin, nicht gleich zu räumen. «Wir sind ungefähr zu zehnt über das Dach eingestiegen, haben das Schloss ausgewechselt und es uns in den Häusern gemütlich gemacht.» Eine gelangweilte Zivilstreife hatte sich dann - warum auch immer - erkundigt, was auf dem aus einem Fenster hängenden Transparent stehe. Das war’s. Zugleich war das Leben in der halben Ruine nur begrenzt gemütlich. «Es war nicht mehr viel drin. Nach und nach wurden fließend Wasser, ein funktionierender Abfluss und Strom gelegt», berichtet Ralf.
«Es gibt eine Bewohner*innenschaft, die mittlerweile über Generationen hier lebt: Oma, Tochter, Enkelkind», sagt Yvonne. Die Häuser bieten auch Zuflucht für Menschen in Notlagen, auch Geflüchtete. «In dem Neuköllner Haus, in dem ich vorher gewohnt hatte, lebte der älteste Mieter erst seit sechs Jahren», erzählt sie. «Für uns würde die Durchsetzung üblicher Mietverhältnisse bedeuten, dass wir nicht mehr so weiterleben können. Es geht schließlich bei den gemeinsam genutzten Räumen und den offenen Wohnungen ja auch um Vertrauensverhältnisse.»
Und es geht auch um soziale Infrastruktur für den Kiez. «Der Kiezladen ist mehr als ein Versammlungsraum für uns, er ist ja ein politischer Ort für ganz Berlin», sagt Frieda. Im Gemeinschaftsraum des F4 genannten Hauses Fraenkelufer 4 probt seit 20 Jahren beispielsweise der aus der linken Bewegung entstandene Frauenchor Judiths Krise. Es gibt Sporträume, Werkstätten, Ateliers und eine Gemeinschaftsküche. Das mit etlichen Plakaten tapezierte Treppenhaus kann schon als kleines Bewegungsmuseum durchgehen. Alleingelassen werde in den Häusern auch bei persönlichen Krisen niemand.
«Um diese Struktur zu erhalten, müssen wir unsere Häuser kaufen», sagt Frieda. Und wird grundsätzlich: «Wir fordern vom Berliner Senat die Auflegung eines sozialpolitischen Programms zum Schutz der Bestandsmieter.» Das kommunale Vorkaufsrecht in Milieuschutzgebieten solle genutzt werden, um die Häuser an kommunale Träger zu überführen, die selbstverwaltetes Wohnen auch ermöglichen. Zumal die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften inzwischen versuchen, solche einst vereinbarten Sonderregeln für Hausprojekte in ihrem Bestand auszuhebeln und die «Objekte» standardisiert zu verwalten. Zusätzlich fordern die Mieter die Erhöhung des Kreditrahmens und der Zuschüsse für kleine Genossenschaften, um ihnen die Ausübung von Vorkaufsrechten zu ermöglichen. «Und natürlich müssen Deutsche Wohnen & Co enteignet werden», sagt Frieda im Brustton der Überzeugung.
Was die Finanzierung des eigenen Kaufs und die möglichen Partner betrifft, wird seit Monaten verhandelt. «Wir wollen nicht dabeistehen, während möglicherweise Verträge über unsere Häuser verhandelt werden. Wir wollen selbst in Gespräche kommen, um die Preise auch mitbestimmen zu können», sagt Victor. Ohne die Besetzungen der 1980er Jahre wären die Häuser längst abgerissen worden. «Die Deutsche Wohnen kann sie uns auch schenken, wir würden auch eine Spendenquittung ausstellen», ergänzt er noch.
«Wir haben viel Erfahrung darin, unbequeme Mietende zu sein und beraten auch andere», erklärt Yvonne. «Aber wir sind erst einmal höflich.» Das Ziel ist für sie, wie für alle anderen in den Häusern, klar: «Die Häuser denen, die drin wohnen.» Und zwar nicht nur im Block 89.
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