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Befindlichkeiten, Standortfragen
SPD und Linke haben zwischen sich scheinbar unüberwindliche Hürden aufgetürmt - viele durchaus zu Recht
Am Wochenende war es jene Meldung, die für Aufsehen sorgte: Die SPD ist nach der Bundestagswahl 2021 bereit zur Regierungszusammenarbeit mit der Linken. Am Montag folgte der zweite Paukenschlag: Olaf Scholz soll Kanzlerkandidat der SPD werden. Die SPD-Spitze macht mit seiner Nominierung früh eine Ansage zum Bundestagswahlkampf, der ja noch längst nicht heran ist.
Ob sie sich damit einen Vorteil gegenüber der Union erhofft, die ihre Entscheidung absehbar erst in einigen Monaten, wahrscheinlich erst im kommenden Jahr treffen wird, das bleibt dahingestellt. Entsprechende Überlegungen, dies sei das Kalkül der SPD-Spitze, wird kaum jemand öffentlich bestätigen. Naheliegend wäre auch, dass interne Auseinandersetzungen der Sozialdemokraten über die neue Linie von Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans lieber baldmöglichst auf den Tisch sollten, damit sie ausgefochten sind, wenn es ernst wird. »Diejenigen, die wir überraschen, wollen wir um Vertrauen bitten für diesen Weg«, suchte Parteichefin Saskia Esken am Montag den Schulterschluss mit ihrer Anhängerschaft.
Konfliktstoff liegt zur Genüge in der Mitteilung. Immerhin machen die beiden Sieger im parteiinternen Kampf um den Vorsitz nun den Unterlegenen zum Kandidaten. Und mit Scholz soll jemand Rot-Rot-Grün durchsetzen, dessen Abneigung gegen diese Konstellation kein Geheimnis ist. Beide Entscheidungen bilden praktisch die Pole des tieferen Konflikts. Einerseits hat die SPD 30 Jahre gebraucht, ihre strikte Unvereinbarkeitspose gegenüber der Linken, anfangs gegenüber der Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS), zu überwinden. 1990 beschlossen die Sozialdemokraten auf einem Parteitag in Leipzig, dass frühere SED-Mitglieder generell von der Aufnahme ausgeschlossen seien.
Bis heute schwankt die SPD gegenüber der Linken zwischen Abneigung und Nähe. Auch wenn die realen Kräfteverhältnisse oft zur Einsicht nötigten, dass Distanzierung auch den eigenen Zielen schade. 2008 stolperte mit Andrea Ypsilanti eine Sozialdemokratin beim Versuch, mit Hilfe der Linken eine Regierung zu bilden, über die eigenen Leute, die ihr die Gefolgschaft versagten. Längst hatte die politische Realität da Regierungsbündnisse auch auf Landesebene entstehen lassen, auf kommunaler sowieso. Doch im Westen war dies noch nicht möglich. Und im Bund verbot man sich solche Gedankenspiele strikt. Auch wegen des Haders mit jenen früheren SPD-Mitgliedern, die wegen der Agendabeschlüsse zur Wahlalternative Soziale Gerechtigkeit gewechselt waren und heute einen Teil der Linken bilden. Zumindest der Vorwurf, die Linkspartei trage die untolerierbare Erblast der DDR mit sich herum, von der sie sich nicht ausreichend distanziere, scheint nun abgeschliffen - auch dank der Bemühungen der Linken, sich dieses Erbes durch symbolische Distanzierung vom »Unrechtsstaat« wie etwa in Thüringen zu entledigen.
Die Neubewertung der SPD vollzieht sich nun vor den Augen der staunenden Öffentlichkeit, aber es ist noch offen, welche Widerstände sich dagegen erheben werden. Bleibt der Umgang mit dem eigenen Erbe - dem von Hartz IV, Niedriglohnsektor und Rentenbeschneidung. Das neue Duo an der Parteispitze verkündete nach seinem Sieg im innerparteilichen Wettbewerb Ende vergangenen Jahres, ein Weiter-so werde es für die Sozialdemokratie unter ihrer Führung nicht geben. Das hatte auch den Ausschlag für den Erfolg gegenüber Olaf Scholz gegeben. Denn damit schien nicht nur das Bekenntnis zur baldigen Befreiung aus der Großen Koalition gemeint. Sondern auch die Befreiung aus der Falle, in die sich die SPD mit den Sozialabbaureformen der Agenda 2010 manövriert hat. Die aber sind mit Olaf Scholz fest verbunden, der Kanzler Gerhard Schröder bei ihrer Durchsetzung unter anderem als SPD-Generalsekretär zur Seite stand.
Gleichwohl, Olaf Scholz ist der Kandidat, der der SPD-Führung derzeit am aussichtsreichsten erscheint. Schon in den vergangenen Tagen waren Fürsprecher zu vernehmen gewesen - darunter nicht nur Außenminister Heiko Maas, sondern auch der Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich. Und Scholz selbst zeigte am Montag seine Managerqualitäten. Es sei »unser ganz ehrgeiziges Ziel, die nächste Bundestagswahl erfolgreich zu bestreiten und die nächste Regierung zu führen«, sagte Scholz am Montag in Berlin. »Ich freue mich über die Nominierung und will gewinnen.« Und zur Linken: »Wir wollen nicht, dass es eine ständige Fortsetzung von CDU-Regierungen mit wechselnden Partnern gibt.« Er wolle »jetzt eine sozialdemokratische Regierung«, so Scholz, der sich zugleich souverän zeigte - natürlich gelte es, die gegenwärtige Koalition mit der Union ordentlich zu Ende zu führen.
Mit einem Handstreich aber wird sich das Problemgewirr nicht lösen lassen. Auch weil außer der SPD auch die Linke vor der Frage steht, wie sie mit ihrer bisherigen Oppositionsrolle gegenüber der SPD umgehen will. Gleichzeitig an den eigenen verkündeten Ansprüchen festhalten und der SPD entgegenkommen, das dürfte eine Zerreißprobe werden. Zumal die Sozialdemokraten kaum bereit sein dürften, ihr zu weit entgegenzukommen. Allein das mediale Dauerfeuer im Falle einer Kooperation würde dem entgegenwirken. Und noch ist der Weg ja von keiner Seite frei. SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil orakelte, eine Zusammenarbeit werde man angesichts der aktuellen Entwicklungen bewerten. »Wird spannend, wie sich die Linkspartei auf ihrem Dezember-Parteitag entwickelt.« Und Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) machte keinen Hehl aus seinen Zweifeln, ob er eine Koalition mit den Linken für möglich hält: »Im Bund ist es fraglich.«
Unvereinbarkeitsreflexe gibt es nicht nur in der SPD - der Linken dürfte ein heftiges Getümmel bevorstehen, wenn es dies zu entscheiden gilt. Im Parteiprogramm warten die berühmten roten Haltelinien auf ihren Zerreißtest, sobald es um die Fragen einer tatsächlichen Koalition ginge. Abgesehen davon, dass die Rechnung bisher ohne die Grünen gemacht ist, die Saskia Esken immerhin schon anfütterte mit der Bemerkung, die SPD wäre auch zur Koalition unter einer Grünen-Kanzlerschaft bereit. Und sowieso ohne den Wirt. Das ist am Ende die Wählerschaft. Da vor allem sieht es bisher eher mau aus.
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