SPD-Chef: Kanzlerkandidat kann nicht seine Agenda durchdrücken

Wird es so wie bei Peer Steinbrück 2013? CSU und FDP finden die frühe Festlegung bei der SPD nicht gut

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Berlin. Finanzminister Olaf Scholz sieht durch seine frühzeitige Ausrufung zum SPD-Kanzlerkandidaten die Sacharbeit in der großen Koalition nicht gefährdet. »Es geht ja nicht morgen früh der Wahlkampf los. Sondern es ist einfach ganz normale Regierungsarbeit angesagt«, sagte er am Montagabend in der ARD. Scholz verteidigte den überraschenden Zeitpunkt seiner Nominierung damit auch gegen Kritik aus der Union. Die Bürger könnten jetzt erkennen, woran sie mit der SPD seien.

»Wir haben genau geschaut, was bei den letzten Wahlen, bei denen wir nicht das Ziel erreicht hatten, was wir erreichen wollten, falsch gelaufen ist«, sagte Scholz am Montagabend in den ARD-»Tagesthemen«. Dabei habe die SPD die Lehre gezogen: »Zu spät benannt ist auch ein Problem«.

Angst vor dem Effekt »Früh ernannt, früh verbannt« habe er nicht, sagte der Bundesfinanzminister. Ziel sei es gewesen, die Entscheidung für den Kanzlerkandidaten vor allen anderen zu treffen. »Und das haben wir jetzt gemacht«.

Vorstand und Präsidium der SPD hatten Scholz am Montag einstimmig als Kanzlerkandidaten für die Bundestagswahl 2021 nominiert. Eine Bestätigung auf einem Parteitag ist danach nicht mehr nötig. Die SPD ist damit die erste im Bundestag vertretene Partei mit einem Kanzlerkandidaten für die Wahl im Herbst 2021.

»Wir haben uns in einem nicht unkomplizierten Prozess zusammengerauft«, sagte er in der ARD. »SPD und Kanzlerkandidat passen zusammen.« Der Finanzminister machte deutlich, dass er mit der Rückendeckung aller Kräfte in der SPD rechne. »Das ist wichtig, dass die SPD geschlossen handelt, alle auch mit ihrer Geschlossenheit und Einigkeit überrascht und sich hinter dem Kandidaten versammelt - und so wird es jetzt sein«, sagte er im ZDF.

SPD-Chef Walter-Borjans betonte das Mitspracherecht der Partei beim Wahlprogramm für die Bundestagswahl. »Die Programmarbeit hat schon begonnen, und sie geht weiter. Ich habe immer gesagt, dass ein Kanzlerkandidat nicht einfach seine Agenda durchdrücken kann. Gleichzeitig darf die Partei ihrem Kandidaten kein Programm überstülpen«, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.

Walter-Borjans räumte ein, dass die Nominierung von Scholz eine Reihe von Parteimitgliedern enttäuscht habe. »Es wäre unehrlich und unfair ihnen gegenüber, das zu bestreiten, und man kann das ja auch bei Twitter verfolgen«, sagte er. Er sei dennoch sicher, dass die Entscheidung für Scholz richtig sei. »Wir haben mit vielen Menschen in der SPD gesprochen, und am Ende war klar, dass Olaf Scholz der beste Kandidat für die Partei und für das Land ist.«

Der SPD-Chef widersprach der These, dass seine Kandidatur für den Parteivorsitz im vergangenen Jahr ursprünglich gegen Scholz gerichtet gewesen sei. »Meine Kandidatur um den SPD-Vorsitz ging nicht gegen jemanden, sondern für etwas - nämlich einen handlungsfähigen, in die Zukunft investierenden Staat«, sagte er. »Aber natürlich haben Saskia Esken und ich Olaf Scholz während unserer engen Zusammenarbeit in den letzten Monaten besser kennengelernt und stimmen mit seiner Akzentsetzung sehr überein.« Man habe erlebt, wie sich viele Punkte, für die Esken und er angetreten seien, in der Regierungsarbeit niedergeschlagen hätten.

Die CSU findet es »abenteuerlich«

Während die CDU zurückhaltend reagierte, stieß die Entscheidung in der CSU auf scharfe Kritik. »Jetzt ist nicht die Zeit für Wahlkampf und Kandidatenkür. Unser Land steht vor großen Herausforderungen und riesigen Aufgaben in der Corona-Pandemie«, sagte CSU-Generalsekretär Markus Blume der »Passauer Neuen Presse«. Als Überraschungscoup nun einen Kandidaten aus dem Hut zu zaubern, sei »geradezu abenteuerlich«. Scholz sei ein respektabler Minister - »aber die Ausrufung des Bundestagswahlkampfs in dieser schwierigen Phase kann schon zu einer Belastung für die Arbeit der großen Koalition werden«.

Am Montag hatte bereits CSU-Chef Markus Söder deutlich gemacht, dass die SPD ihren Kanzlerkandidaten aus seiner Sicht zu früh bekannt gegeben hat. Auch er warnte davor, angesichts der schwelenden Corona-Pandemie zu früh in den Bundestagswahlkampf zu starten.

Wer die Union als Kanzlerkandidat in die Bundestagswahl führt, ist noch offen. Für den CDU-Vorsitz bewerben sich Armin Laschet, Friedrich Merz und Norbert Röttgen. Sie liegen in Umfragen zur Kanzlerkandidatur jedoch deutlich hinter Söder zurück - der allerdings stets betont, sein Platz sei in Bayern. Er plädiert dafür, den Spitzenkandidaten der Union erst im nächsten Jahr zu benennen.

Merz hatte Scholz, der Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans im Dezember bei der Wahl zum SPD-Vorsitz unterlegen war, am Montag ein Scheitern vorhergesagt: »Olaf Scholz wird es so ergehen wie Peer Steinbrück 2013: Der Kandidat passt nicht zur Partei«, sagte der frühere Unionsfraktionschef der »Rheinischen Post«.

FDP-Generalsekretärin Linda Teuteberg bezeichnete die Nominierung dagegen als »Inkonsequenz mit Wumms«. Es sei ein bekanntes Modell der SPD, mit einem in der Bevölkerung angesehenen, aber in der Partei nicht unterstützten Minister anzutreten, sagte Teuteberg der »Rheinischen Post«. Spätestens im Wahlkampf werde der Widerspruch zwischen pragmatischem Kandidaten und linkem Programm klar.

Mit ruhiger Führung zu progressiver Politik?

Berlins Regierender Bürgermeister, Michael Müller, (SPD) hat die Nominierung von Olaf Scholz zum Kanzlerkandidaten seiner Partei begrüßt. Dieser sei ein sehr erfahrener Politiker auf Landes- und Bundesebene, sagte Müller am Montag in der rbb-Abendschau. Als Finanzpolitiker habe er Herausragendes geleistet, um Unternehmen in der Coronakrise zu helfen. Seine Besonnenheit und ruhige Art seien jetzt genau das Richtige, was man brauche.

Der Präsident des Münchner Ifo-Instituts, Clemens Fuest, verlangte von Scholz eine klare Absage an ein mögliches rot-rot-grünes Regierungsbündnis. »Die Umsetzung der wirtschafts- und sicherheitspolitischen Positionen der Linken würde Deutschland erheblichen Schaden zufügen«, sagte Fuest dem »Handelsblatt«. »Ich würde von Olaf Scholz erwarten, dass er eine Koalition mit der Linken ausschließt, denn seine Positionen sind mit denen der Linken nicht vereinbar.«

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Die Linke strebt im Wahlkampf eine harte sozialpolitische Auseinandersetzung mit der SPD an. »Wir werden uns inhaltlich mit der SPD nichts schenken«, sagte Linke-Parteichefin Katja Kipping am Dienstagmorgen im Deutschlandfunk. Die Linke werde vehement Druck machen. »Wir sind sowieso der kämpferische Teil links der Union für eine notwendige soziale und ökologische Wende«, betonte Kipping.

Die Nominierung von Finanzminister Olaf Scholz zum Kanzlerkandidaten der SPD und die Chancen für eine Koalition aus SPD, Grünen und Linken bewertete Kipping zurückhaltend. Entscheidend sei, dass man inhaltlich vorankomme, etwa alle vor Armut zu schützen sowie Millionenvermögen und Millionenerbschaften stärker zu besteuern. Kipping sagte, Scholz habe bisher für Dinge gestanden, gegen die die Linke hart protestiert habe. »Ich gestehe auch ihm zu, dass er sich inhaltlich neu orientiert. Ob er das macht, das wird sich zeigen. Mein Eindruck war, dass sich die SPD selber jetzt in einigen Fragen sozialpolitisch neu aufgestellt hat«, betonte Kipping. dpa/nd

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