Fällige Wahl mit offenem Ende

Joe Bidens Vize-Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris ist weder Feind noch Freund der Linken

  • Moritz Wichmann
  • Lesedauer: 2 Min.

Joe Biden lässt nichts anbrennen an der Law-and-Order-Front; er will offenbar der Trump-Kampagne keine Angriffsfläche bieten. Das zeigt die Wahl der Ex-Staatsanwältin Kamala Harris als »Vize« des Präsidentschaftskandidaten der US-Demokraten. Harris bekennt sich zwar heute pflichtschuldig zu Polizeireformen, hat sich aber auch über Forderungen, die Polizei aufzulösen (»Defund-The-Police«) lustig gemacht und profilierte sich in Kalifornien als Law-and-Order-Politikerin.

Die Online-Linke auf Twitter sieht ihre Nominierung als Bestätigung für die Nichtreformierbarkeit der Demokraten, meint eine Restauration des Status Quo zu erkennen. Richtig ist: Harris steht inhaltlich links von Biden, ist aber kein Bernie Sanders. Das zeigt ihr Abstimmungsverhalten im US-Senat. Ihre Karriere macht ebenfalls deutlich: Sie ist wie Biden auch Opportunistin, hat sich wie die Partei langsam nach links bewegt. Wie sie und Biden regieren werden, sollten die Demokraten die Wahl gewinnen, hängt auch davon ab, wie stark sie aus der Partei und von sozialen Bewegungen von links unter Druck gesetzt wird.

Vor allem aber war Harris' Ernennung als Bidens »Vize« absehbar, erwartbar und »fällig«. Die Aufgabe der Vize-Präsidentin ist es vor allem, geografisch und demografisch eine Balance zu anbieten. Harris ist aus dem Westen des Landes, Migrantenkind, auch asiatisch-amerikanisch und vor allem: eine Schwarze Frau. Manche Linke machen sich gerne lustig über Identitätspolitik und vermeintlich oberflächliche Repräsentationsfragen. Doch richtig ist auch: Schwarze Frauen haben Anerkennung verdient. Sie sind schließlich der zuverlässigste Wählerblock der Demokratischen Partei.

Spitzfindige Kritiker könnten jetzt einwerfen, dass die Nominierung von Harris die zahlreichen sozialen Probleme von Minderheiten im Land nicht löst. Aber das muss eben vor allem durch Parlamentarier, von Gewerkschaften und Aktivisten erkämpft werden, weniger durch die Vize-Präsidentin. Bei ihr geht es vor allem um Repräsentation. In den Worten der schwarzen US-Journalistin Jemele Hill: »Gönnen wir schwarzen Frauen diesen Moment.«

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