- Sport
- Fußball und Corona
Gemeinsam einsam
Ohne Zuschauer: Nur der Profifußball kann damit leben
Susanne Johna nahm den Ball spielend auf. »Das Konzept verhindert keine Ansteckungen«, sagte die Vorsitzende des Ärzteverbandes »Marburger Bund« und bezeichnete die Pläne des Profifußballs, zum Saisonstart im September eine Teilzulassung von Zuschauern zu erwirken, als »unrealistisch«. Die Vorlage hatte Christian Seifert geliefert. »Sehnsucht ersetzt keine Pläne«, hatte der Chef des Ligaverbandes DFL am 4. August bei der Vorstellung des Konzeptes gesagt.
Die beiden Aussagen zeigen, wie weit Meinungen und Interessen in dieser Frage des Fußballs auseinanderliegen. Ein weiteres Beispiel: Laut einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov wollen 45 Prozent von 2018 befragten Personen einen Saisonstart mit Zuschauern, 44 Prozent sind dagegen. Seit Montag steht fest: Vorerst wird in deutschen Stadien nicht vor Fans gespielt. »Die Gesundheitsministerinnen und Gesundheitsminister der Länder sind gemeinsam mit dem Bundesgesundheitsminister zu der Überzeugung gelangt, dass vor dem Hintergrund der pandemischen Lage die Öffnung der Stadien für Zuschauerinnen und Zuschauer nicht vertreten werden kann«, lautete das Fazit der Gesundheitsministerkonferenz. Diese Aussage gilt, analog zu bundesweit verbotenen Großveranstaltungen, vorerst bis Ende Oktober.
Ein »ikonisches Bild« hatte Seifert auf der Mitgliederversammlung der 36 Erst- und Zweitligisten gemalt: Volle Stadien würden zeigen, dass die Krise überwunden ist. Nun kommt es anders. Angesichts wieder steigender Infektionszahlen reagierte der Ligaverband am Dienstag verständnisvoll und zurückhaltend auf die Vorgaben der Politik. Die Eindämmung des Coronavirus habe selbstverständlich höchste Priorität, teilte die DFL mit. Auch von den Klubs kam kaum Widerspruch. Denn die eigene Priorität - in der Coronakrise von den Verantwortlichen unumwunden Geschäftsgrundlage genannt - bleibt unberührt: Es darf Fußball gespielt werden. Und somit fließt auch das Geld aus dem Verkauf der Fernsehrechte.
Dort, wo das Medieninteresse geringer und die Bedeutung von Zuschauereinnahmen im Vereinsetat noch sehr groß ist, stößt ein Saisonstart ohne Fans auf Widerstand - auf breiter Front. Fast die Hälfte aller Drittligisten wollte aufgrund hoher finanzieller Schwierigkeiten schon die vergangene Saison nicht zu Ende spielen. Dabei erhielten sie auch Rückendeckung aus der Landespolitik. Nun stellte sich Sachsen-Anhalts Ministerpräsident gegen die Entscheidung der Gesundheitsministerkonferenz. »Das Ziel sollte sein, dass wir mit dem Saisonstart allmählich den Zuschauerverkehr hinbekommen«, sagte Reiner Haseloff nach einer Telefonkonferenz der Ministerpräsidenten am Dienstagabend. Aus ökonomischen Gründen könnten viele Vereine Spiele ohne Zuschauer nicht mehr lange durchhalten, argumentierte der CDU-Politiker.
Alleingelassen und verraten fühlte sich so mancher Verein in der 3. Liga von seinem Verband schon in der vergangenen Saison. Auf große Unterstützung seitens des Deutschen Fußball-Bundes scheinen sie auch jetzt nicht hoffen zu können. Zwar hatte der DFB am Konzept der DFL mitgearbeitet, das zur Spielerlaubnis im Mai geführt hat. Grundsätzlich aber fährt der Verband lieber im Windschatten des Profifußballs mit, als eigene Konzepte für die eigene Liga und deren Vereine zu entwickeln. Das wäre nur logisch, denn die Voraussetzungen sind ganz andere als in den Bundesligen. So blieb die Videokonferenz des DFB mit den Drittligisten am Dienstag ergebnislos. Ebenso wie die Bundesligen startet die 3. Liga am 18. September. Während die DFL schon einen Spielplan und feststehende Rahmenbedingungen hat, quälen sich die Drittligisten in Unsicherheit. Und dass am Ende der DFB entscheidet - wie in der vergangenen Saison zum Schaden von Vereinen und gegen den Grundsatz der sportlichen Fairness - ist nicht ausgeschlossen.
Vollkommene Einigkeit herrscht auch im Profifußball nicht. Beim Blick nach Berlin, der einzigen Stadt mit zwei Erstligisten, wird das besonders deutlich. Als Christian Seifert von »Sehnsucht« sprach, meinte er auch den 1. FC Union. Die Köpenicker waren im Juli mit dem Ziel vorgeprescht, ab Saisonbeginn wieder in einer ausverkauften Alten Försterei antreten zu wollen. Weil der Verein Fußball für Menschen spiele und sowohl Stadionerlebnis als auch Stehplätze »der Kern unseres Daseins als Unioner« seien, wie Vereinspräsident Dirk Zingler jüngst noch mal erklärte. Massentests für alle Stadionbesucher waren Kern des Köpenicker Konzepts. Daraus wird wohl nichts. Selbst der sehr viel weniger fordernde Plan der DFL, gegen den Union gestimmt hatte, wurde von der Gesundheitsministerkonferenz abgelehnt. Auch weil keine Lösungen für »die Risiken bei An- und Abreise zu Spielen« präsentiert wurden. Hertha BSC war ebenso voreilig. Noch vor der Versammlung der DFL wurde ein Zuschauerverzicht des Vereins öffentlich, weil sich die Öffnung des Olympiastadions bei der derzeit in Berlin geltenden Obergrenze von 5000 Menschen nicht lohne. Immerhin: In Charlottenburg wird Geld als Handlungsmotiv direkt benannt.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.