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Riskanter Grenzübergang
Barmer: Der Informationsfluss zwischen Klinikärzten und Niedergelassenen ist weiter lückenhaft
Das deutsche Gesundheitswesen hat ein besonderes Problem mit Sektorengrenzen: Hier gibt es die Krankenhäuser, dort die niedergelassenen Ärzte - um nur die größten Behandlungssparten zu nennen. Patienten, die sich von einem Sektor in den anderen begeben, gehen ein Risiko ein. Denn die nötigen Informationen über ihre Krankheiten und die Medikamente, die sie aktuell bekommen, sind offenbar ein heikles Gepäck. Es kommt in vielen Fällen nicht über die Grenze.
Der aktuelle Barmer-Arzneimittelreport, der sich genau mit diesem Problem beschäftig, wurde am Donnerstag in Berlin vorgestellt. Das Problem, so Barmer-Vorstand Christoph Straub, existiert nicht erst seit Jahren, sondern seit Jahrzehnten. Bei der Aufnahme in ein Krankenhaus sind eigentlich die Informationen zur bisherigen Medikation unverzichtbar. Umso riskanter, wenn sie nicht vorliegen, nicht einfach zugänglich sind - oder nicht beachtet werden. Zumal die Wahrscheinlichkeit, in einem Krankenhaus behandelt zu werden, mit der Zahl der verschiedenen Medikamente ansteigt, die Patienten gleichzeitig einnehmen.
Wer mindestens fünf Mittel schlucken muss, zählt zu den Polypharmaziepatienten. Hochgerechnet aus Routinedaten der Barmer wurden 2017 in Deutschland 2,8 Millionen Menschen aus dieser Gruppe stationär aufgenommen. Von ihnen befragte die Krankenkasse 2900 Personen ab 65 Jahren. Bei Klinikaufnahme hatten nur 29 Prozent einen Medikationsplan nach bundeseinheitlichen Vorgaben. 17 Prozent verfügten über gar keine aktuelle Aufstellung ihrer Medikamente.
»Es ist unverständlich, dass die Aufnahme in ein Krankenhaus als millionenfacher Prozess so fehleranfällig ist«, kommentiert Straub. Das geht jedoch im Klinikalltag so weiter, vor allem dann, wenn Patienten neue Medikationen eben nicht erklärt werden. In der Barmer-Umfrage waren das 30 Prozent der Teilnehmer. Mit einem solchen Wissensdefizit verlassen dann auch viel zu viele das Krankenhaus. Jeder dritte Patient mit geänderter Therapie habe von den Klinikärzten keinen aktualisierten Medikationsplan erhalten. Auch zwischen den Medizinern fließen die Informationen nicht besser: 150 Hausärzte befragte die Barmer dazu, 40 Prozent waren mit den Mitteilungen ihrer Klinikkollegen nicht zufrieden. Nur bei jedem dritten Patienten seien Therapieänderungen begründet worden. Aber ein Wechsel bei den Arzneimitteln sei im Krankenhaus schon fast die Regel. 41 Prozent der Barmer-Versicherten bekamen bei der Entlassung mindestens ein neues Medikament. Dazu passt, dass viele Menschen, die es vorher nicht waren, das Krankenhaus als Polypharmaziepatienten verlassen.
»Hier versagen nicht die einzelnen Ärzte, sondern es gibt ein organisatorisches Versagen«, so Kassenchef Straub. Die Barmer will ihre Empfehlung zu einer langfristigen Lösung der Probleme in einem Projekt testen. Mit Geldern aus dem Innovationsfonds für das Gesundheitswesen sollen allen behandelnden Ärzten jeweils alle behandlungsrelevanten Informationen zur Verfügung gestellt werden, auf Basis der Kassendaten, sofern die Versicherten einverstanden sind. Dazu gehört eine Liste der Vorerkrankungen sowie eine aller verordneten Arzneimittel. Auch Apotheker seien einbezogen, Patienten hätten Zugang zu allen Daten über ein App. Das Ganze sei kompatibel mit der elektronischen Gesundheitsakte, die im Januar 2021 an den Start geht. Ein weiterer Vorteil des Ansatzes: Die beteiligten medizinischen Akteure könnten sich asynchron über die Plattform austauschen. Denn in der Praxis ist für telefonische Nachfragen bei anderen behandelnden Ärzten keine Zeit, vor allem wegen des dicht getakteten Arbeitspensums in allen Sektoren. Straub hofft, dass mit den jetzt verfügbaren digitalen Strukturen eine Versorgungsform der Zukunft entworfen wurde. Nötig wäre es: Die Zahl der Fälle, in denen Menschen an Medikamentenneben- oder -wechselwirkungen sterben, wird zwar nur geschätzt, aber sie geht in die Zehntausende.
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