Brücke über ein tiefes Tal

Bundesregierung verlängert Krisenprogramm / DGB lobt Verlängerung des Kurzarbeitergeldes

  • Uwe Kalbe
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Große Koalition versucht mit ihren Möglichkeiten, der Wirtschaft weiter durch die Coronakrise zu helfen. Dies sind vor allem finanzielle Mittel und die Möglichkeiten, die das Insolvenzrecht bietet. So bleibt überschuldeten Unternehmen zunächst weiter die Pflicht zum Insolvenzantrag erspart. Wie die Große Koalition am Dienstagabend beschloss, bleibt diese bis zum Jahresende ausgesetzt. Die Regelung für überschuldete oder zahlungsunfähige Unternehmen wäre sonst im September ausgelaufen. Fachleute warnen jedoch bereits, dass dies die reale Lage vieler Unternehmen nur eine Zeitlang kaschieren könne.

Wichtiger noch ist die Verlängerung des Kurzarbeitergeldes, die das Kabinett beschloss. Dieses soll nun bis Ende kommenden Jahres mit Steuergeldern subventioniert werden. Die SPD wollte die Regelung bis 2022 verlängern, konnte sich beim Koalitionspartner damit aber nicht durchsetzen. Dafür gilt aber bis Ende 2021 das aufgestockte Kurzarbeitergeld (von 60 Prozent des ausfallenden Nettolohns auf bis zu 87 Prozent ab dem siebten Bezugsmonat) , was wegen des Widerstands der Union zunächst unsicher war. Die Arbeitgeber bekommen bis Juni 2021 die Sozialbeiträge auf das Kurzarbeitergeld weiterhin vollständig und von Juli bis Ende 2021 zur Hälfte erstattet.

Bundesfinanzminister Olaf Scholz rechnet mit zusätzlichen Ausgaben in Höhe von zehn Milliarden Euro im kommenden Jahr. Die Milliardenspritze an die Bundesagentur für Arbeit sei teuer, aber nicht so teuer, wie es Massenarbeitslosigkeit wäre, erklärte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) im Deutschlandfunk. Kurzarbeit sei derzeit die «stabilste Brücke über ein tiefes wirtschaftliches Tal», begründete Heil den Beschluss. Sie sei nötig, um Arbeitsplätze zu sichern. Im kommenden Jahr rechnet der Minister nach eigener Auskunft mit einer stückweisen Erholung der deutschen Wirtschaft. Dann könne man «irgendwann auch Kurzarbeit zurückfahren».

Der DGB lobte die Entscheidung und hob den eigenen Anteil daran hervor. «Das alles ist auch ein Erfolg der Gewerkschaften, denn dafür haben wir uns in den letzten Wochen gezielt eingesetzt», sagte der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann. Hingegen kritisierte die Linke eine «ungerechte Lastenverteilung». Während Arbeitgebern 100 Prozent der Sozialversicherungsbeiträge erstattet würden, hätten Beschäftigte frühestens nach sechs Monaten Anspruch auf eine Erhöhung des Kurzarbeitergeldes auf 80 Prozent, so die Fraktionsvorsitzende Susanne Ferschl. Der Vorsitzende der Linkspartei Bernd Riexinger warnte, das Kurzarbeitergeld bilde zurzeit noch einen Damm, «aber die Angriffe auf Beschäftigte laufen längst». Er forderte eine rasche Reformierung des Arbeitszeitgesetzes sowie eine Personaloffensive für die Pflege.

Ebenfalls bis zum Jahresende und damit um drei Monate länger soll der erleichterte Zugang zur Grundsicherung gelten. Vor allem von der Krise betroffene Künstler und Kleinstunternehmer sollen davon profitieren, auch die Regelungen zum Schonvermögen werden großzügiger ausgelegt. Gesetzlich Versicherten stehen für 2020 wegen der Corona-Krise mehr Krankentage zur Betreuung ihrer Kinder zur Verfügung. Für Elternpaare soll das Kinderkrankengeld für jeweils fünf weitere Tage und für Alleinerziehende für zusätzliche zehn Tage gewährt werden. Wer coronabedingt Angehörige pflegt, kann bis zu 20 Arbeitstage dieses Jahres der Arbeit fernbleiben. Außerdem beschloss die Regierung eine stärkere Unterstützung der Schulen bei der Digitalisierung. 500 Millionen Euro sollen für die Beschaffung von Laptops für Lehrer zur Verfügung gestellt werden. Bei Schul- und Kitaschließungen wegen Corona sollen Kinder ärmerer Eltern weiter kostenloses Mittagessen erhalten können - bis zum Jahresende.

Auch die Überbrückungshilfen für kleine und mittlere Betriebe laufen nun erst im Dezember aus. Doch der erklärte Wille, damit besonders Künstlern, Soloselbstständigen und Kleinstunternehmen zu nützen, wird von der Linken in Frage gestellt. Klaus Ernst begrüßte zwar die Beschlüsse des Kabinetts. «Allerdings müssen die Gelder auch ankommen, und davon ist angesichts der niedrigen Antrags- und Bewilligungszahlen bei den Überbrückungshilfen bisher wenig zu spüren, so der wirtschaftspolitische Sprecher der Linksfraktion und Vorsitzende des Ausschusses für Wirtschaft und Energie im Bundestag. Die verschärften Regeln, die seit Juli gelten, schlössen viele Unternehmen von den Hilfen aus. Zahllose Soloselbstständige lebten derzeit von ihren Rücklagen und dem Einkommen ihrer Partner. Um diese kümmere sich die Bundesregierung nicht.

Am Mittwoch folgte dem Krisenprogramm ein Beschluss der Bundesregierung zur Einführung einer digitalen Rentenübersicht. Auf einem Internetportal sollen Informationen über die gesamte eigene Altersvorsorge einsehbar sein - gesetzliche Rente, Betriebsrenten und private Altersvorsorge. Nur wer Bescheid wisse, könne gut vorsorgen, erklärte Arbeitsminister Heil. Die eigenen Ansprüche würden künftig »einfach und auch für Laien nachvollziehbar« abrufbar sein. Das Projekt soll unter Beteiligung aller Akteure von der Deutschen Rentenversicherung Bund realisiert werden. Matthias Birkwald, Rentenexperte der Linken im Bundestag, begrüßte das Vorhaben. Viele, die von der Politik in eine private Altersvorsorge gezwungen worden seien, würden dann die Schwächen vor allem der Riester-Verträge noch deutlicher vor Augen haben. Denn: Die meisten Riester-Verträge seien intransparent, die Zahlbeträge stiegen während der Auszahlungsphase nicht, und sie böten keinen Schutz bei Erwerbsminderung. Mit Agenturen

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