• Politik
  • Antimuslimischer Rassismus

Staat tut zu wenig, um Muslime zu schützen

Auch nach den Anschlägen von Hanau sind etwa Attacken auf Moscheen kaum ein Thema für Staatsschützer, moniert Christine Buchholz

  • Fabian Goldmann
  • Lesedauer: 5 Min.

Nach den Anschlägen von Hanau vor einem halben Jahr versprachen Politiker, Muslime und andere marginalisierte Gruppen besser schützen zu wollen. Haben Sie den Eindruck, dass sich deren Situation seither verbessert hat?
Was den Schutz angeht: leider nein. Bei der Anzahl an Straftaten hat sich, soweit wir es wissen, nichts verbessert. Im ersten Quartal des Jahres gab es weiterhin Übergriffe und Drohungen gegenüber Muslimen, Moscheen und Religionsvertretern. Die jüngsten Zahlen sind noch nicht veröffentlicht, aber wir wissen aus Gesprächen, dass sich an der Situation grundsätzlich nichts geändert hat. Auch Razzien gegen migrantische Cafés und Racial Profiling durch Polizisten sind nach wie vor Alltag.

Überrascht es Sie, dass sich so wenig getan hat?
Nein, mich wundert das nicht. Schon nach den rechtsradikalen Anschlägen von Halle und Christchurch in Neuseeland war klar, dass es weitere Terrorattacken gegen Muslime geben kann. Trotzdem sah die Bundesregierung keinen Handlungsbedarf, was die Sicherung angeht. Was ich auch bemerkenswert finde: Die Tat in Hanau war ein Terrorangriff, der auf ganzer Linie rassistisch und antimuslimisch motiviert war. Trotzdem ordnet die Bundesregierung ihn nicht unter antimuslimischen Straftaten ein. Das ist auch ein Zeichen dafür, dass es an Verständnis für antimuslimischen Rassismus fehlt.

Christine Buchholz
Die Abgeordnete ist religionspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag. Zudem gehört die 49-Jährige dem Bundesvorstand der Linkspartei an. Fabian Goldmann sprach mit ihr für »nd« über antimuslimischen Rassismus und linke Vorbehalte gegen eine Zusammenarbeit mit konservativen islamischen Religionsgemeinschaften.

In letzter Zeit wurde weniger über extremistische Taten gegen Muslime berichtet. Stattdessen war häufig von der Gefahr die Rede, die von Extremisten unter organisierten Muslimen ausgehe. Wie groß ist Problem aus Ihrer Sicht?
Dazu muss ich erst einmal sagen, dass ich den Begriff Extremismus für extrem problematisch halte, weil er einfach sehr unscharf ist. Die Frage ist: Worüber reden wir? Sind es religiöse Fundamentalisten? Sind es politische Kräfte mit klerikal-islamischen Einstellungen? Sind diese rein religiöse Strömungen oder nicht? Wir als Linke kennen das Problem: Die Extremismusdebatte wird geführt, um von der größten Gefahr für Muslime, Linke und die gesamte Gesellschaft abzulenken: der extremen Rechten.

Der Verfassungsschutz berichtet von Islamisten in den Reihen des Zentralrats der Muslime.
Der Verfassungsschutz ist für die Linke keine Quelle, auf die man sich berufen sollte. Der Verfassungsschutz hat zum Beispiel in den letzten Jahren die Definition, wer als Gefährder bezeichnet wird, ausgeweitet. Da gibt es natürlich auch eine politische Agenda, mit der auch der Verfassungsschutz agiert. Es ist ja kein Zufall, dass im aktuellen Verfassungsschutzbericht einmal das Wort Islamfeindlichkeit und 137-mal das Wort Islamismus auftaucht.

Also sehen Sie keine Probleme in islamischen Organisationen?
Nein, das soll das nicht heißen. Wie alle anderen Religionsgemeinschaften auch, sind islamische Verbände sehr heterogen, teilen sich in viele unterschiedliche Strömungen. Es gibt religiös Konservative, Liberale, Linke und Reaktionäre – wie im Christentum übrigens auch, Stichwort Piusbruderschaft. Deswegen muss man, wenn man einen Vorwurf erhebt, ihn immer konkret benennen und konkret begründen, anstatt eine Religion unter Generalverdacht zu stellen.

Wieso kann man sich als Staat oder auch als Partei die Linke unter den heterogenen islamischen Organisationen nicht jene als Partner heraussuchen, die die eigenen Werte teilen?
Religionsfreiheit gilt nun mal nicht nur für diejenigen, die meine Werte oder politischen Ansichten teilen. Ich verteidige Religionsfreiheit grundsätzlich. Auch in den christlichen Kirchen gibt es reaktionäre Vorstellungen, trotzdem spreche ich mit ihren Vertretern. Wir müssen vom Recht der Religionsgemeinschaften ausgehen, vom Staat gleichberechtigt behandelt zu werden. Gleichzeitig müssen wir uns an konkreten Punkten auch mit Fragen auseinandersetzen, die wir anders sehen. Was hier auch noch dazugehört ist, dass es sich beim Islam und beim Judentum um Minderheitenreligionen handelt. Gerade wir als Linke müssen Minderheiten immer gegen rassistische Angriffe verteidigen.

Einige in Ihrer Partei fordern, die Zusammenarbeit mit dem Zentralrat der Muslime zu beenden. Sie würden das also nicht unterstützen?
Selbstverständlich muss man mit ihm zusammenarbeiten. Wir haben eine lange Kooperation zum Beispiel im Kampf gegen rechts mit dem Zentralrat der Muslime, ZMD. Vor zwei Jahren war Thüringens Linke-Ministerpräsident Bodo Ramelow zum Beispiel mit der Union progressiver Juden, dem Zentralrat der Muslime und 25 jüdischen und muslimischen Jugendlichen in Auschwitz. Der ZMD-Vorsitzender Aiman Mazyek sprach auf der großen Kundgebung des Bündnisses »Unteilbar«. Wenn wir gegen Rassismus aufstehen, dann ist unser Anspruch auch immer, die Betroffenen dabeizuhaben und ihnen eine Stimme zu geben.

Wozu braucht es überhaupt staatliche Zusammenarbeit mit islamischen Verbänden?
Weil der Staat auch mit den übergeordneten Verbänden anderer Religionsgemeinschaften zusammenarbeitet und diese beteiligt werden müssen, wenn religiöse Vielfalt gestaltet wird. Sie sind Ansprechpartner, weil einzelne Moscheen gar nicht die Möglichkeiten haben, ihre Anliegen gegenüber dem Staat vorzubringen. Ich finde, wenn man Integration und Engagement fordert, muss man den Vertretern unterschiedlicher Gruppen ein Mitspracherecht geben. Islamische Gemeinschaften übernehmen ganz real zivilgesellschaftliche Aufgaben. Wenn man sie aus Diskursen und von Möglichkeiten der Mitgestaltung ausschließt, dann ist das Diskriminierung.

Wenn nicht am Extremismus, woran liegt es dann, dass es bei der Zusammenarbeit zwischen Staat und islamischen Vertretern in letzter Zeit nicht mehr vorangeht?
Ich glaube, das steht im Zusammenhang mit der gesellschaftlichen Stimmung und mit den Debatten, die angestoßen wurden. Angefangen bei Sarrazins Thesen, die dann auch im bürgerlichen Lager rezipiert und schließlich von der AfD aufgegriffen und verstärkt wurden. Das hat dazu geführt, dass viele positive Ansätze infrage gestellt oder zunichtegemacht wurden.

Sehen Sie Versäumnisse auf Seiten der islamischen Organisationen?
Ja, selbstverständlich gibt es Kritikpunkte und Unzulänglichkeiten. Wenn wir uns zum Beispiel an die Spitzelaffäre bei Ditib erinnern. Aber trotzdem gibt es eine Bringschuld des Staates oder der Mehrheitsgesellschaft: Nämlich Muslimen die gleichen Rechte zu gewähren, wie sie Mitglieder anderer Religionsgemeinschaften haben. Und wenn das nicht geschieht und stattdessen mit Vorurteilen und falschen Anschuldigungen gearbeitet wird, ist das natürlich bitter.

App »nd.Digital«

In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!