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Pandemische Schulzeit
Am Berliner Friedrich-Ebert-Gymnasium sind Schüler und Lehrer verunsichert.
Masken aufsetzen!«, ruft die Sportlehrerin des Friedrich-Ebert-Gymnasiums in Berlin-Wilmersdorf am Mittwochmorgen ihren Schülern zu. Es ist 7.45 Uhr und der Bildungsnachwuchs der fünften bis zwölften Klassen strömt durch den vier Meter breiten Eingangsflur der Schule ins Foyer die Treppen hoch in ihre Klassenzimmer. Die meisten der 850 Kinder und Jugendlichen müssen durch dieses Nadelöhr.
Schulleiter Peter Danz, hat sich in den Sommerferien den Kopf darüber zerbrochen, wie ein normaler Betrieb unter Pandemiebedingungen funktionieren soll, berichtet er »nd«. Besonders große Sorge habe ihm das Rotationsprinzip in der Oberstufe beschert, erklärt Danz: Dort werden die Schüler in Kursen mit wechselnder Zusammensetzung unterrichtet, statt im gleichbleibenden Klassenverbund.
Verwinkelte Treppen führen vom Foyer an gelben Wänden entlang in den ersten Stock zum Sekretariat. Neben einem Bild von Friedrich Ebert hängen zwei Zettel: »Ihr seid mit Abstand die Besten« und »Bitte ganz rechts gehen« steht auf ihnen. Ein Schüler ohne Maske klopft an die Tür, schüchtern schaut er durch das Türglas. »Abstand halten«, warnt ihn die Sekretärin. »Noch einen Schritt!« Routiniert reicht sie ihm eine OP-Maske. »Name und Klasse?«, will sie dann noch wissen.
Lena Werner, Stellvertretende Sprecherin des Landeschüler*innenausschusses Berlin, ist Schülerin der 11. Klasse des Friedrich-Ebert-Gymnasiums. Die 16-Jährige Schülervertreterin fordert für den Schulbetrieb kostenlose Corona-Tests. In der ersten großen Pause steht sie im Foyer. Neben ihr quetschen sich Schüler vorbei nach draußen zum Rauchen. An diesem regnerischen Tag qualmen nur wenige auf dem Hof, an anderen sollen sie sich, wie die Sardinen in der Büchse, auf dem Bürgersteig drängen, erzählt die Teenagerin. Ein Freund taucht neben Lena aus der Menge auf, sie umarmen sich.
Lena berichtet, dass sie große Angst vor einem Corona-Ausbruch in ihrem Gymnasium habe : »Ich denke, dass es noch zwei bis drei Monate dauert, bis die Fallzahlen so hoch sind, dass die Schulen wieder schließen.« Später möchte sie Psychotherapeutin werden, deshalb hat sie dieses Jahr Psychologie als Wahlfach gewählt. »Willkommen in unserer unnormalen Zeit«, begrüßt der Psychologielehrer seine Schüler. Heute soll es um Achtsamkeit gehen, aber vorher wird noch über Schule und Corona gesprochen. Die Schüler finden, dass die Regelungen in der Schule inkonsequent seien, denn sobald man sich draußen aufhält, müsse man keine Maske tragen. »Und bei Gruppenarbeit ist es von Woche zu Woche unterschiedlich«, sagt eine Schülerin. Lena erklärt ihr, dass Masken »nicht verpflichtend« seien. Ein andere Schülerin ist froh, dass es »normal weitergeht«, weil sie es als sehr schwer empfand, »sich selber Dinge beizubringen«. Der Lehrer schließt die Diskussion mit den Worten: »Das Virus hat uns noch nicht gesagt, wie es auf unser Verhalten reagiert.«
Seit dem Ende der Sommerferien, seit 10. August läuft in der Hauptstadt wieder der reguläre Schulbetrieb. Die zuständige Senatsverwaltung für Bildung hatte bereits im Juni einen Musterhygieneplan herausgegeben, auf dessen Basis die Schulleitungen das Konzept selbst an ihren Standort anpassen sollten. Eine Woche vor Schulbeginn verschickte die Verwaltung von Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) einen dicken Klopper: eine 70-seitige Handlungsempfehlung für die 800 Berliner Schulen. Für Schulleiter Danz war das vor allem eins: sehr viel zu lesen. »Ich musste erst mal verstehen, was da stand. Und dann stellte ich fest, dass wesentliche Fragen offenblieben«, erinnert er sich. Er wolle der Verwaltung aber keine Schuld geben: »Wir operieren alle in einem Feld, in dem es keine Präzedenzfälle gibt.«
Lena steht in der zweiten großen Pause mit einer Freundin im etwa 50 Quadratmeter großen Flur des 1. Stocks im Friedrich-Ebert-Gymnasium. Eine Handvoll Oberstufenschüler sitzt auf der Treppe. Sie unterhalten sich. Immer noch tragen nahezu alle Masken, einige essen, andere trinken. Eine Frau Mitte Dreißig, mit Umhängetasche und Einkaufsbeutel bepackt, läuft in eiligem Tempo den Flur entlang auf die Schüler hinzu. Es ist Politiklehrerin Julia Beck, die den Raum aufschließt. Die Schüler*innen betreten das etwas steril eingerichtete Klassenzimmer und setzen ihre Masken ab. An den Wänden hängen zwei Plakate, die versuchen, die Klimapolitik von Fridays for Future und den Präsidentschaftswahlkampf in den USA zu erklären. Die Schüler*innen setzen sich an ihre Plätze, an Tische, die in der für die Schule typischen U-Anordnung stehen. Vier weitere Tische reichen in die Mitte des Raumes hinein. Es klingt großzügig, dennoch sitzen die 20 Schüler*innen ohne Abstand zueinander.
Die Corona-Pandemie verunsichere sie, erklärt die Lehrerin Julia Beck im Gespräch mit »nd«. »Ich plane digital alles parallel«, damit sie sofort auf Digitallehre wechseln könne - »wenn etwas passiert«. Für sie war der Lockdown Mitte März eine doppelte Belastung: Zu Hause musste sie ihre eigenen Kinder unterrichten und ebenso ihre Schüler. »Das war super arbeitsintensiv«, resümiert Beck. Bis zu 400 Arbeitsergebnisse musste sie pro Woche korrigieren, erzählt sie. Und manche Schüler seien einfach nicht zu erreichen gewesen. Dabei sei ein klares Muster zu erkennen gewesen: »Schüler, die in der Regel schlechtere Leistungen in der Schule erbringen, waren auch diejenigen, die schlecht zu erreichen waren«, berichtet die Pädagogin. Sollte es wieder zu Schließungen kommen, glaubt sie die Schule besser vorbereitet - wie sie mit den Schülern umgehen soll, die sie dann nicht erreicht, wisse sie aber auch nicht.
Wenn es kälter wird, werden die Schulen sich neue Konzepte ausdenken müssen. Schulleiter Danz schaut trotz allem optimistisch in die Zukunft. »Ich halte die Schüler für unglaublich resilient, die werden ihren Weg gehen.« Und wenn sie keinen Unterricht bekämen, würden sie sich schon besorgen, was wichtig wäre. »Ich finde es am wichtigsten, dass alle überleben«, so Danz.
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