Ein anderes Land

  • Ingo Petz
  • Lesedauer: 2 Min.

Hunderte Menschen waren vergangene Woche gekommen, um die Literaturnobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch auf ihrem Weg zum Verhör in Minsk zu begleiten. Sie sei um die Menschen in Belarus und um den Zusammenhalt in der Gesellschaft besorgt, sagte die 72-Jährige, die in das Führungsgremium des oppositionellen Koordinationsrates gewählt worden war. Der Rat diskutiert und berät unter anderem, wie Neuwahlen durchzusetzen sind.

Alexijewitsch ist vor allem in den vergangenen Jahren zur moralischen Symbolfigur der Belarussen geworden. Nicht nur, weil sie sich wie vor Kurzem offen gegen den Autokraten Lukaschenko positioniert und sich seit den Tagen der Sowjetunion für freiheitliche Werte ausspricht, sondern weil sie mittlerweile auch ein anderes Verständnis für Belarus entwickelt hat: Noch 2013, als sie mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet wurde, sagte Alexijewitsch in einem Interview für die FAZ, dass sie die belarussische Sprache für »bäuerlich« und »unreif« halte. Die Autorin wiederholte damit alte Stereotype. Die ehemalige Journalistin sorgte damit für einen Skandal unter Belarussischsprachigen, die sich seit vielen Jahren in der Literatur und in anderen Sphären für ein offenes Belarus engagieren.

Die Entgleisung mag man auch damit erklären, dass die 1948 in Stanislaw geborene Alexijewitsch zehn Jahre im Exil lebte. In dieser Zeit aber hatte sich Belarus verändert: Das Nationalistische wurde weitgehend marginalisiert und der Ruf, die eigene Sprache und Kultur unterstützen zu wollen, ergab sich aus einem neuen Gefühl der Unabhängigkeit unter jungen Leuten, die einer anderen Welt verbunden sind als der, die Lukaschenko mit Gewalt und Repression konsolidieren will. Seit ihrer Rückkehr hat Alexijewitsch, deren Werk auch Wurzeln in der belarussischen Literatur von Ales Adamowitsch hat, eine neu entdeckte Liebe zu Belarus gefunden.

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