Schwerer Job für Adib
Der neue Ministerpräsident des Libanon soll das politische System reformieren
Einen Monat nach der Explosion im Hafen von Beirut am 4. August und nur drei Wochen nach dem Rücktritt der Regierung von Hassan Diab am 10. hat der libanesische Präsident Michel Aoun den Diplomaten Mustafa Adib mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragt.
Der promovierte Rechts- und Politikwissenschaftler hat in Frankreich studiert und ist mit einer Französin verheiratet. Adib stammt aus der libanesischen Hafenstadt Tripoli, ist 48 Jahre alt und arbeitete für den früheren libanesischen Ministerpräsidenten Najib Mikati zunächst als Berater und später als Kabinettschef. Seit 2013 ist Adib Botschafter des Libanon in Berlin. 2004 wurde er Präsident des Zentrums für Strategische Studien des Mittleren Ostens (CESMO), einer in Tripoli ansässigen Nichtregierungsorganisation.
Adib erhielt die Zustimmung aller Fraktionen im Parlament. Bei einer Rede am vergangenen Sonntag hatte auch der einflussreiche Vorsitzende der libanesischen Hisbollah, Hassan Nasrallah, seine Zustimmung zu Adib geäußert. Man müsse auch über Reformen reden, so Nasrallah weiter. Denn die Hisbollah repräsentiere nicht »das ganze libanesische Volk (…), aber einen Teil« der Libanesen. Konkret ging Nasrallah auf den französischen Präsidenten Emmanuel Macron ein, der eine neue politische Zeit gefordert und das konfessionelle System im Libanon angeprangert hatte. »Da sind wir offen für jeden Dialog, sofern alle libanesischen Fraktionen das akzeptieren«, erklärte Nasrallah.
Libanons konfessionelles System ist ein Erbe der französischen Mandatszeit (1920-1943). Danach werden die höchsten Staatsämter nach einem Proporzsystem an Christen, sunnitische und schiitische Muslime verteilt. Nach dem Bürgerkrieg (1975-1990) wurde das System mit dem Taif-Abkommen zunächst bekräftigt. Die Absicht, den Konfessionalismus durch ein nicht-religiöses, laizistisches politisches System zu ersetzen, wurde nie umgesetzt. Gemäß der letzten Volkszählung 1932 waren im Libanon 58,7 Prozent Christen und 40 Prozent Muslime verschiedener Glaubensrichtungen. Kürzlich hat die libanesische Forschungseinrichtung »Information International« eine Studie veröffentlicht, wonach sich dieses Verhältnis zwischen Christen und Muslimen umgekehrt hat.
Basierend auf den Parlamentswahlen 2018 kommt die Studie zu dem Ergebnis, dass Christen 30,6 Prozent der Libanesen ausmachen, während die Muslime auf 69,4 Prozent kommen. Die schiitischen Muslime werden dem Bericht zufolge mit 31,6 Prozent angegeben, die sunnitischen Muslime kommen auf 31,3 Prozent. Sollte also das Proporzsystem im Libanon weiter aufrechterhalten werden, müssten die höchsten staatlichen Ämter anders als bisher verteilt werden.
Ein Bericht der Weltbank schätzt den Schaden der Zerstörung des Hafens von Beirut am 4. August 2020 auf etwa acht Milliarden US-Dollar. Die Ursachen der gewaltigen Explosion werden weiter untersucht. Die »Schnelle Schadens- und Bedarfsanalyse in Beirut« der Weltbank schätzt den Wert der zerstörten Infrastruktur auf 4,6 Milliarden US-Dollar. Der Schaden, der durch die gesunkene Wirtschaftsleistung des Libanon entstanden ist, wird auf 3,5 Milliarden US-Dollar geschätzt. In einer dritten Kategorie schätzt der Weltbankbericht, dass der Wiederaufbau bis Ende 2021 bis zu 2,2 Milliarden USD kosten könnte, das entspricht etwa 1,8 Milliarden Euro. Der Bericht wurde unmittelbar nach dem Geschehen im Hafen von Beirut von der Weltbank initiiert und gemeinsam mit den Vereinten Nationen und der Europäischen Union in die Wege geleitet.
Das Geld dafür könnte dem Libanon vom Internationalen Währungsfonds zur Verfügung gestellt werden, sofern sich das Land zur Umsetzung strenger Privatisierungsprogramme bereit erklärt. Die Verlierer solcher Programme wären erneut die Libanesen, die nicht nur Arbeitsplätze in bisher staatlich subventionierten Unternehmen verlieren könnten, sondern auch auf staatliche Subventionen für Grundnahrungsmittel, Benzin und Gas verzichten müssten.
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