Das Gefühl, kaputt zu gehen
Erst sind es nur Störmomente, dann ist es ein Sturz ins Bodenlose: Der taiwanesische Film »Nina Wu« handelt von sexualisierter Gewalt
Ein Casting, ein Filmdreh und die ersten vorsichtigen Schritte Richtung Ruhm. Nach einer langen Zeit der Erfolgslosigkeit schafft es Nina Wu (Wu Ke-xi), eine Hauptrolle in einem Arthaus-Spionage-Thriller zu bekommen.
Sie weiß, es ist ihre letzte Chance, ansonsten droht ihr ein Berufsleben in den trashigeren Social-Media-Gefilden. Die Grenzüberschreitungen des Regisseurs (ein ambitionierter Möchtegern-Fassbinder) die vielen wohl nicht zwingend notwendigen Nacktszenen beim Drehen dieses Films im Film - Nina Wu hält durch, und am Ende winkt der Erfolg.
Die ausdauernde Intensität, die Midi Zs Film im ersten Drittel entfaltet, nimmt einen arg mit, körperlich. Alles ist in konstanter Anspannung, die Inszenierung, der ruhige, unnachgiebige Schnitt und die grenzüberschreitende Nähe, die die Kamera zum Leinwandkörper der Hauptfigur herstellt, strengen an und entfalten einen ziemlichen Sog.
Bald kommt es zu Störmomenten im anfänglich linear wirkenden Erzählverlauf. Eine Kakerlake auf der Hand, eine Echse im Lampenschirm, bei einem Familienessen fängt ein Verwandter an zu bellen. Die Zahl dieser die Hauptfigur als auch die Zuschauer*innen irritierenden Momente nimmt zu. Und irgendwann, man rekonstruiert dann erst im Nachhinein, wann in etwa das gewesen sein mag, stürzt der Film Nina Wu ins Bodenlose.
Die Schauspielerin Wu Ke-xi hat das Drehbuch gemeinsam mit dem Regisseur geschrieben. Man merkt »Nina Wu« an, dass der Film nicht einfach nur ein Beitrag zur metoo-Debatte sein will (obwohl er auch das ist), sondern eine Form von Gewalt erfahrbar machen will. Der Missbrauch, die Zerstörung des Körpers und der Seele, von der Nina Wu in ihrer Filmrolle immer wieder sprechen muss, findet erst in der letzten Szene ein direktes Bild, das man dann auch nicht mehr vergisst.
Leider und zum Glück, leider, weil man sich Scheiße fühlt danach, zum Glück, weil »Nina Wu« ein Film ist, der es erschwert oder vielleicht sogar verunmöglicht, wenn man ihn in die eigene Wahrnehmung aufgenommen hat, bagatellisierend über sexualisierte Gewalt zu sprechen.
Bis zu dieser letzten Szene, die das zeigt und bestätigt, was die Zuschauer*in irgendwann bereits zu ahnen begonnen hat, vermischt »Nina Wu« Zeit-und Wirklichkeitsebenen in einer Weise, die wesentlich intelligenter ist als das, was man in den letzten zwanzig Jahren sonst so an Mindfuck-Plot-Labyrinthen vorgeführt bekommen hat. Bei den ersten Traumszenen (die dann vielleicht doch gar keine sind) denkt man noch: »Ach ja, David Lynch, viele Regisseure wollen so sein wie er«. Einige Versatzstücke, die auf dessen Film »Mulholland Drive« (2001) anspielen, kommen noch hinzu.
Das nicht nur psychologisch, sondern auch narrativ bis ins letzte Detail durchdachte Skript von Midi Z und Wu Ke-xi entfaltet allerdings ein Verwirrspiel, das nichts Epigonales hat, sondern eine ganz eigene Erzählung darstellt, die von einer Trauma-Logik organisiert wird. Deren Ursprung findet wie gesagt erst am Ende sein Bild, und in diesem Sinne ist »Nina Wu« dann gewissermaßen rückwärts erzählt beziehungsweise in einer Kreisbewegung, die einen am Ende zum ausgesparten, weil lange nicht erinnerbaren Beginn zurückführt. Und bis dahin einige falsche Fährten legt, die nichts Selbstzweckhaftes haben, sondern direkt Beklemmung entfalten.
Weil man von diesem Film die Wahrnehmung mit einer ziemlichen ästhetischen Gewalt aufs Auge gedrückt bekommt, dass die falschen Fährten für das Objekt der Gewalt notwendig sind, weil das, was geschehen ist, nicht ohne Deckerinnerung erinnerbar ist, ohne das Gefühl zu haben, daran kaputtzugehen.
Deswegen sind diese Zwischenwelt-artigen Räume, hinter denen dann irgendwann der Ursprung des Traumas liegt, nicht einfach David-Lynch-Referenzen, sondern kennzeichnen den Raum der Gewalt als ein Jenseits, einen Ort, in dem tatsächlich etwas stirbt.
»Nina Wu« , Taiwan, Malaysia, Burma 2019. Regie: Midi Z. Mit Wu Ke-xi, Vivian Sung, Kimi Hsia, 103 Minuten.
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