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  • Rassismus bei der Polizei

Nur unabhängige Beschwerdestelle hilft

Zum Thema Rassismus bei der Polizei stehen sich Opferberatung und Behörde konträr gegenüber

  • Claudia Krieg
  • Lesedauer: 4 Min.

Biblap Basu glaubt nicht an Statistik. »Es ist bedauerlich, dass sich die Polizei hinter so niedrigen Zahlen versteckt«, sagt Basu zu »nd«, angesprochen auf die Gesamtzahl von 61 Fällen dokumentierter rassistischer Diskriminierung in den vergangenen vier Jahren, die die Behörde selbst herausgibt.

»Sie muss anerkennen, dass die meisten Menschen sich eben erst gar nicht beschweren«, fordert Basu, der nicht nur seit vielen Jahren für den Verein Reachout Opfer von rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in Berlin berät. Er ist auch Pressesprecher der Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt (KOP), die von Reachout und anderen Beratungsstellen gegründet wurde. Diese dokumentiert seit 20 Jahren behördliche Diskriminierung und Gewalt in der Hauptstadt. Sie betreibt darüber hinaus einen Rechtshilfefonds, mit dem Menschen unterstützt werden, die versuchen, sich dagegen juristisch zur Wehr zu setzen.

Die auf der KOP-Webseite frei verfügbare – unvollständige – Chronik von Beispielen umfasst allein 300 Seiten: von massiver Demütigung über gemeinschaftlich von Beamten ausgeübte brutale Gewalt reicht das Spektrum von erlittenen Erfahrungen – zum Beispiel vor dem Hintergrund nichtiger Anlässe wie Fahrscheinkontrollen. Oder – wie in der Mehrzahl der Fälle – im Nachgang sogenannter anlassloser Kontrollen. Genau die erachtet Biblap Basu als das größte Problem: »Es gibt Menschen, die kommen zu mir und sagen: ›Ich wohne da und da, im Umfeld eines sogenannten kriminalitätsbelasteten Ortes, und ich werde jeden Tag kontrolliert.‹«

Von der Möglichkeit dieser Kontrollen, so Basu, mache die Polizei auch deshalb so häufig Gebrauch, weil ihr das rechtlich zugestanden wird: »Die Beamten handeln im Rahmen des Gesetzes«. Es handelt sich um die verfassungsrechtliche Einrichtung sogenannter kriminalitätsbelasteter Orte (kbO). Die damit einhergehenden »verdachtsunabhängigen Identitätskontrollen« betreffen überdurchschnittlich häufig Nichtweiße. Viele Beamte würden zu dem daraus hervorgehenden Vorwurf des »Racial Profiling« behaupten, dass sie alle Personen überprüfen würden, aber, so Basu: »Das stimmt nicht.« »Unsere Erfahrung ist, dass sich die Polizei in der Regel als frei von Fehlern und Opfer von Missverständnissen inszeniert«, kritisiert Basu scharf.

Dazu kommt als wiederkehrende Erfahrung bei solchen als rassistisch wahrzunehmenden Kontrollen die Umkehr des Verhältnisses von Opfer und Täter, beklagt der Berater. »Beschweren sich Menschen gegen die diskriminierende Behandlung, kassieren sie als Ergebnis eine Anzeige wegen Beleidigung«, erläutert Basu.

Vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen hat die Kampagne 2017 den Sammelband »Alltäglicher Ausnahmezustand: Institutioneller Rassismus in deutschen Strafverfolgungsbehörden« veröffentlicht. Eine Schlussfolgerung lautet: Polizei und Ermittlungsbehörden müssen in Fällen rassistischer Gewalt und Diskriminierung, Vertuschung und Verleugnung zur Rechenschaft gezogen werden. Dafür müsse es aber zunächst eine wirklich unabhängige Beschwerde- und Untersuchungsstelle geben, gut ausgestattet, mit weitreichenden Befugnissen, sagt Basu.

Zur Frage der Auseinandersetzung mit mutmaßlichem Rassismus unter den über 25 000 Hauptstadt-Polizist*innen gibt es innerhalb der Behörde unterschiedliche Ansichten. Polizeisprecher Thilo Cablitz verweist gegenüber »nd« darauf, dass Polizeianwärter bereits in ihrer Ausbildung dazu angehalten seien, »Vorurteile abzubauen und potenziellen Verhaltensweisen, die zu Grundrechtsverletzungen und Diskriminierungen führen können, schon im Vorfeld konsequent zu begegnen«. Außerdem verfüge die Behörde mit einem durchschnittlichen Migrationsanteil von 30 Prozent – mit dem Ergebnis einer »frühen Befassung mit dem Thema Vielfalt«, so der Sprecher.

»Wir sperren uns nicht gegenüber einer Studie«, sagt auch Benjamin Jendro von der Gewerkschaft der Polizei (GdP) zu »nd«. Jendro verweist auf den sogenannten Elf-Punkte-Plan, den Innensenator Andreas Geisel (SPD) Anfang Januar im Innenausschuss des Abgeordnetenhauses vorgestellt hatte. Darin enthalten unter anderem: das Vorhaben, eine repräsentative Einstellungsstudie unter Berliner Beamten – der Pilot soll bei der Polizei durchgeführt werden. »Eine Studie, die wissenschaftlich korrekt vorgeht und in der die Motivation nicht ist, nachzuweisen, dass die Berliner Polizei rassistisch ist«, so Jendro, würde man befürworten.

»Die Polizei kann so viele Schulungen und Studien machen, wie sie es für sinnvoll hält, aber das sagt nichts darüber aus, wie die Beamten am Ende handeln«, sagt dazu Biblap Basu.

Die Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt ruft für Samstag um 14 Uhr zu einer Kundgebung im Görlitzer Park in Kreuzberg auf. »Wir brauchen keine Studie über Racial Profiling. Wir brauchen ein Ende der Politik der sogenannten kriminalitätsbelasteten Orte. Wir brauchen unabhängige Beschwerdestellen und unabhängige Staatsanwaltschaften«, heißt es im Aufruf.

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